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Die Transschutzgrundverordnung der Europäischen Union

16. March. 2025

In den letzten Tagen ging in den sozialen Netzwerken die schöne Nachricht um, dass sich ein trans Mann in Ungarn über die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) Grundrechte für trans Personen erstritten habe. Dieser Blogpost nimmt unter die Lupe, was da eigentlich geklagt und geurteilt wurde und was dieses Urteil für uns als trans Personen in der Europäischen Union bedeutet.

Eine unheilige Kombination aus EU-Flagge, Herz in Transfarben und darüber das Wort DSGVO.
Ich entschuldige mich bei der Europäischen Union für dieses Verbrechen gegen die Designkunst.


Aus Europäischen Grundrechten ergibt sich ein Recht von trans Personen auf Änderung ihres Namens und Geschlechtseintrages. Das geht aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, kurz EuGH, vom 13. März hervor.

Im Jahr 2014 erhielt in Ungarn ein trans Mann den Geflüchtetenstatus, nachdem er Nachweise über seine Transidentität vorgelegt hatte. In seinem Herkunftsland Iran ist Gewalt und Diskriminierung gegen trans Personen sehr häufig. Eine rechtliche Geschlechtsänderung ist in Iran zwar prinzipiell möglich, allerdings ist dafür eine geschlechtsangleichende Operation erforderlich. Nach europäischer Rechtsprechung stellt dieser Operationszwang einen Verstoß gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens dar. Ungarn hatte den Geflüchtetenstatus des Mannes wegen seiner Transidentität(!) anerkannt und ihn trotzdem von Anfang an mit seinem Geburtsnamen und unter weiblichem Geschlecht registriert.

Die Identität von trans Personen wird in Ungarn nicht anerkannt

In Ungarn stehen trans Personen vor einer vertrackten rechtlichen Lage. Bis 2017 gab es im Land überhaupt keine rechtliche Regelung für eine Änderung des Geschlechts vor dem Gesetz. Transitionen wurden nach Gewohnheitsrecht behandelt. Ab 2018 war eine Änderung mit psychologischen Gutachten möglich, aber nur für ungarische Staatsangehörige und nicht für Personen, die sich rechtmäßig in Ungarn aufhalten, ohne die ungarische Staatsangehörigkeit zu besitzen.

Der EuGH führt in seiner Urteilsbegründung auf, dass im Jahr 2018 durch das ungarische Verfassungsgericht selbst festgestellt wurde, dass dies verfassungswidrig sei. Die Problematik wurde bis in den Europäischen Gerichtshof für Menschenrichte geklagt. Dieser entschied im Jahr 2020, dass diese Regelungslücke einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention darstellt.

Im aktuellen Urteil stellt der EuGH fest, dass sich an dieser rechtlichen Situation in Ungarn seitdem nichts geändert hat. Stattdessen wurde in der Zwischenzeit in Ungarn jede Möglichkeit zur rechtlichen Transition abgeschafft. Im Jahr 2020 ergriff Orbán unter dem Vorwand der Corona-Krise das Recht, in Ungarn per Dekret zu regieren, und machte es im Zuge dessen für ungarische Staatsangehörige rechtlich unmöglich, ihr Geschlecht zu ändern. Das ungarische Parlament bestätigte dieses Gesetz im Mai 2020. Im Jahr 2023 entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass auch das gegen die Menschenrechtskonvention verstößt.

Ungarn zaubert eine OP-Pflicht herbei

Der britische Newsletter QueerAF berichtet, dass der aus Iran geflüchtete Mann vor der Einbürgerung stand. Allerdings sollte er unter seinem Geburtsnamen und als Frau eingebürgert werden. Für ungarische Staatsbürger besteht derzeit keine Möglichkeit, diese Daten zu berichtigen. Deshalb beantragte der Mann im Jahr 2022 bei der ungarischen Ausländerbehörde eine Berichtigung seiner Daten nach DSGVO, also nach dem europäischen Datenschutzrecht. Die DSGVO spricht allen Menschen ein Grundrecht auf Richtigkeit der über sie geführten Daten zu. Dem Antrag fügte der Mann dieselben Nachweise bei, die ihm einige Jahre vorher schon die Anerkennung seiner Flüchtlingseigenschaft eingebracht hatten.

Im Oktober 2022 lehnte die ungarische Ausländerbehörde den Antrag ab mit der Begründung, dass der Mann nicht nachgewiesen hatte, dass er sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen hatte. Daraufhin legte dieser beim Hauptstädtischen Stuhlgericht in Ungarn Klage ein. Dieses Hauptstädtische Stuhlgericht Ungarns wandte sich dann an den EuGH für ein sogenanntes Vorabentscheidungsverfahren, das heißt, es erkundigte sich, wie das Europarecht in dieser Sache auszulegen ist. So kam das aktuelle Urteil zustande.

DSGVO sagt Trans Rights

Am 13. März 2025 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass sich aus der DSGVO das Recht für trans Personen ergibt, Namen und Geschlechtseintrag zu ändern. Weiter erklärt der EuGH, dass das Fehlen einer nationalen Regelung zur Änderung von Namen und Geschlechtseintrag bei trans Personen nicht als Ausrede herangezogen werden kann, um diese Änderung abzulehnen. Die EU-Mitgliedsstaaten sind zwar selbst für ihre eigenen Gesetze zuständig, aber trotz allem vertraglich an Unionsrecht gebunden.

Betrachtet wird in der Urteilsbegründung zum einen der Artikel 7 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union:

Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.

Das ist der vollständige Text des Artikels, es sind keine Einschränkungen enthalten.

Zum anderen wird Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention herangezogen. Dieser trifft eine ähnliche Aussage, erlaubt allerdings auch einige Beschränkungen:

(1) Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz.

(2) Eine Behörde darf in die Ausübung dieses Rechts nur eingreifen, soweit der Eingriff gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer.

Der EuGH interpretiert diesen Absatz 2 so, dass Beschränkungen dieser Rechte auf staatlicher Ebene nur dann zulässig sind, wenn die Beschränkung notwendig und verhältnismäßig ist und Grundrechte und Grundfreiheiten nicht wesentlich verletzt – und das alles sowieso nur dann, wenn ein öffentliches Interesse an dieser Beschränkung besteht. Das heißt, dass bei staatlichen Registern das Recht auf Berichtigung durchaus eingeschränkt werden kann. Es kann aber nicht verhältnismäßig und notwendig sein, dass die Änderung im Melderegister komplett verhindert wird oder nur nach einer geschlechtsangleichenden Operation möglich ist, denn, wie eben schon erwähnt, ist so ein Operationszwang nach Europarecht menschenrechtswidrig.

Die Rechtsprechung legt Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und Artikel 7 der Grundrechtscharta seit Jahren so aus, dass sich daraus auch ein Recht von trans Personen auf Anerkennung ihrer Geschlechtsidentität ergibt. Das bringt gleichzeitig auch eine Verpflichtung der EU-Staaten mit sich, wirksame und zugängliche Verfahren bereitzustellen, um eine effektive Achtung der Geschlechtsidentität zu gewährleisten. Das macht Ungarn derzeit nicht.

Nachweispflicht: Ja, OP-Pflicht: Nein

Abschließend hat der EuGH also geurteilt, dass nach DSGVO »eine mit der Führung eines öffentlichen Registers betraute nationale Behörde verpflichtet ist, personenbezogene Daten betreffend die Geschlechtsidentität einer natürlichen Person zu berichtigen«.

Das Urteil bestätigt die mögliche Einschränkung in Form einer Verpflichtung für die beantragende Person, zuerst »relevante und hinreichende Nachweise vorzulegen, die von ihr vernünftigerweise verlangt werden können, um die Unrichtigkeit dieser Daten festzustellen.« Aber, so der EuGH: »Ein Mitgliedstaat darf die Ausübung dieses Rechts jedoch keinesfalls mittels Verwaltungspraxis davon abhängig machen, dass eine geschlechtsangleichende Operation nachgewiesen wird.«

Und das heißt am Ende: Unter EU-Recht haben trans Personen ein Recht darauf, ihren Namen und Geschlechtseintrag ändern zu können, und zwar auf einem Wege, der ihre Menschenrechte und Grundrechte inklusive dem Recht auf körperliche Unversehrtheit achtet. Es ist immer noch zulässig, für diese Änderung psychologische Gutachten und andere »zumutbare« Nachweise zu verlangen, aber die Änderung muss möglich sein.

Orbáns Ungarn hält sich nicht an EU-Recht

Ob Ungarn diese Rechtsprechung tatsächlich anwendet und dem Mann einen korrekten Eintrag ermöglicht, bleibt abzuwarten. Ungarn missachtet seit Jahren die europäische Rechtsprechung über die Rechte queerer Menschen. Von europäischer Seite läuft derzeit ein Gerichtsverfahren gegen Ungarn aufgrund eines Gesetzes, das es verbietet, minderjährige Menschen über Homosexualität und Transgeschlechtlichkeit aufzuklären, angeblich um sie vor Pädophilie zu schützen.

Die Europäische Union steht in der Verantwortung und stellt auch an sich selbst den Anspruch, zu gewährleisten, dass alle Menschen, die sich dort aufhalten, die gleichen Grund- und Menschenrechte genießen. Als Mitgliedsstaat der EU hat Ungarn sich dazu verpflichtet, diese Grund- und Menschenrechte ebenfalls aufrechtzuerhalten und umzusetzen. Ob das unter Viktor Orbán, dessen Herrschaft das demokratische System im Land stark erodiert hat, möglich ist, lässt sich anzweifeln. Die Europäische Union hat die Möglichkeit, den Staat für seine Verstöße finanziell zu sanktionieren. Ein Entzug des Stimmrechts Ungarns in der EU ist zwar möglich, gilt aber als unwahrscheinlich, weil alle anderen Mitgliedsstaaten einstimmig dafür stimmen müssten.

Immerhin: Wer einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union angehört, genießt Freizügigkeit innerhalb der EU und kann in jedem anderen EU-Land arbeiten und leben – auch in solchen, die die Korrektur von Namen und Geschlechtseintrag einfacher zugänglich machen.


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Themen: politik, trans, international