Undurchsichtige Interessen zwischen Werbung, Nachrichten und Politik
Ich bin aktiv im Hamburger Freien Radio. Dort landete am Freitagabend eine E-Mail im Postfach: »[Hiermit] erhalten Sie eine nachrichtliche Fassung unseres Interviews mit Katharina Fegebank, Zweite Bürgermeisterin Hamburgs und Spitzenkandidatin der Grünen. Die Aussagen sind bei Quellenangabe ("Nachrichtenportal t-online") mit *SPERRFRIST Samstag, 18. Januar, 9 Uhr,* frei zur Veröffentlichung.«
Die Schlagzeile: »Katharina Fegebank: "Wer kein Bleiberecht hat, muss gehen"«. Diese Aussage wird manchen sicher bitter aufstoßen und ist auch der einzige Satz des Interviews, der sich kontrovers diskutieren lässt.
Absender der E-Mail: die Ströer News Publishing GmbH. Klar, denn T-Online gehört dem Ströer-Konzern.
Solche E-Mails sind üblich. Im Postfach des Radios finden sich unzählige, von den verschiedensten Absendern. Und obwohl ich mich erst kürzlich mit der Ströer und ihrem Geschäftsmodell befasst habe, hätte ich auch bei einer Meldung von T-Online nicht gestutzt, wenn es nicht ausgerechnet den Hamburger Wahlkampf betreffen würde.
Der Name »Ströer« klebt in Hamburg als Logo auf jedem Bildschirm und jedem Werbeplakatträger an den Bahnhöfen und auf einem großen Teil der Werbeträger auf öffentlichen Grund. Auf den anderen steht »JCDecaux«. Ströer und JCDecaux haben mit der Stadt Hamburg Verträge abgeschlossen, die ihnen das Recht auf den Betrieb von Werbeflächen auf Staatsgrund zuschreiben.
Für den Konzern, zu dem T-Online gehört, stellt die derzeitige Wahlkampfperiode in Hamburg eine empfindliche Situation dar. Wenn Ströer nicht erneut den Zuschlag für die Vermarktung der Werbeflächen in Hamburg erhält, bedeutet das für den Konzern den Verlust der größten Stadt auf seiner Liste. Mit »Hamburg Werbefrei« besteht sogar eine Volksinitiative gegen die Vereinnahmung des öffentlichen Raums insbesondere durch digitale Werbeträger.
Derzeit steht die Neuvergabe der Werberechtsverträge im Raum, denn der eigentlich bis Ende 2023 laufende Vertrag wurde als Corona-Erleichterung von der Stadt bis 2026 verlängert. Von derselben Stadt, in der Frau Fegebank derzeit Zweite Bürgermeisterin ist und in der sie gerne Erste Bürgermeisterin werden würde.
Im Hamburger Regionalteil von T-Online finden sich mehrere Meldungen, die sich auf den laufenden Wahlkampf beziehen. Die Ströer-Werbebildschirme im öffentlichen Raum und in öffentlichen Verkehrsmitteln wiederum zeigen keineswegs nur eingekaufte Werbung. Immer wieder präsentieren sie Schlagzeilen und Kurznachrichten – besonders prominent und häufig sind die von T-Online.
Ob auf Ströer-Bildschirmen in Hamburg die oben genannte Nachricht oder andere mit parteipolitischem Bezug gezeigt wurden oder werden, kann ich nicht mit Gewissheit sagen. Regeln dagegen gibt es nicht; die Auswahl der angezeigten Nachrichten wird auch nicht unabhängig überprüft oder kontrolliert.
Nachdenklich macht mich in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Ströer über ein datenintensives System zur Zielgruppenauswahl verfügt. Der Konzern wirbt selbst damit, mit Werbung im öffentlichen Raum ganz gezielt bestimmte »Marktsegmente« ansprechen zu können. Zwar ist es nicht erlaubt, Personen oder Gruppen direkt über ihre politische Haltung zu kategorisieren, aber wie die durchschnittliche politische Haltung von Marktsegmenten wie »High Income« oder »Lifestyle Of Health And Sustainability« ist, wird wohl kein großes Rätsel sein.
Ich habe keine Hinweise darauf, dass die Ströer ihr Targeting-System nutzt, um gezielt ausgewählten Gruppen ausgewählte Schlagzeilen anzuzeigen, um ihr Wahlverhalten zu beeinflussen. Es gibt aber auch keine Möglichkeit, dies zu überprüfen, geschweigedenn zu gewährleisten, dass sie es nicht tut.
Ein Hinweis auf den Konflikt zwischen politischen Nachrichten im Hamburger Wahlkampf und dem Interesse des eigenen Konzerns am Wahlergebnis findet sich auf T-Online nicht.
Der Interessenskonflikt besteht aber, auch unabhängig davon, ob die Redaktion bei der Auswahl ihrer Themen und Blickwinkel bewusst die Interessen ihrer Firma vertritt oder nicht. Denn die Ströer Digital Publishing GmbH betreibt die Webseite T-Online, es ist eine Ströer-Firma, die die Mitarbeitenden für T-Online aussucht und einstellt, Ströer ist für die Präsentation der Artikel auf der Plattform verantwortlich und für das externe Marketing einzelner Artikel.
Hier lassen sich viele Fragen stellen. Sollten Lesende über solche Zusammenhänge informiert werden? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, wie? Und: Was halten wir von diesem Konzept, Werbung, die, wie der Hamburger Senat 2022 schrieb, »nach allen gängigen Definitionen darauf ausgerichtet [ist], auf Menschen einzuwirken«, und dies durch ein aufwendiges Targeting-System bewerkstelligt, mit redaktioneller Arbeit und Nachrichten zu vermischen?