Transportrollstuhl
Dieser Artikel gehört zur Beitragsreihe über Mobilitätshilfen. Eine Übersicht findet ihr im Einstiegsartikel Ich kann nicht mehr gut laufen, und jetzt?
Heute stelle ich euch den Transportrollstuhl vor. Das ist diejenige Bauweise von Rollstuhl, die man als den „Standard-Rollstuhl“ kennt. Im Gegensatz zum Aktivrollstuhl, den ich im nächsten Artikel näher beschreibe, ist der Transportrollstuhl für aktive Benutzung nicht oder nur eingeschränkt geeignet. Menschen ohne Behinderung scheinen dies in der Regel nicht zu wissen: Wenn man nach „Rollstuhl“ sucht, findet man oft zuerst den Transportrollstuhl. Viele Grafiken, die „Rollstuhlfahrer“ symbolisieren sollen, zeigen einen Transportrollstuhl. Viele Filme und Serien mit einem rollifahrenden Charakter verwenden diese Art von Rollstuhl. News-Artikel zum Thema Behinderung werden oft mit Fotos von einem Transportrolli bebildert, die ungefähr so aussehen:
Aus unklaren Gründen werden diese Rollstühle gerne leer fotografiert. Foto: Patrick De Boeck via Pexels.
Ein Transportrollstuhl ist keine Maßanfertigung und nicht auf aktive Benutzung optimiert, sondern aufs Bepflegtwerden. In Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen usw. sind oft einige solche Rollstühle vorhanden. Manche davon haben große Räder mit Greifringen, die eingeschränkt selbst bedient werden können; es gibt aber auch Modelle mit vier kleinen Rädern, die gar nicht selbst angetrieben werden können. Da diese Rollstühle auf möglichst viele Menschen passen sollen, sind sie oft sehr groß dimensioniert, was dazu führt, dass schmale und kleine Personen darin geradezu untergehen.
Transportrollstühle haben eine hohe Rückenlehne, was die zum Antreiben nötige Bewegung einschränkt. Die Armlehnen sollen verhindern, dass die Person im Rollstuhl versehentlich mit den Händen in die Räder gerät; dadurch kommt sie aber auch dann nicht dran, wenn sie die Räder antreiben möchte. Die geteilte Fußstütze ist sehr breit und schwer; sie kann zur Seite gedreht werden, um assistiertes Aufstehen zu erleichtern.
Der Schwerpunkt eines Transportrollstuhls liegt sehr weit vorne. Das bedeutet, dass es fast unmöglich ist, den Rollstuhl nach hinten zum Umkippen zu bringen (und die üblicherweise angebrachten Kippstützen beseitigen die Gefahr vollständig). Allerdings wird es hierdurch auch sehr schwer, den Rollstuhl anzutreiben, da zu viel Gewicht auf den kleinen Vorderrädern liegt, die erheblich mehr Reibungswiderstand erzeugen als die großen Haupträder. Außerdem wird es durch die Schwerpunktlage sehr schwer, den Rollstuhl mit einem beherzten Anschubsen an den Greifringen vorne anzuheben – dies ist die Standardtechnik, um einzelne Stufen und Kanten wie Bordsteine oder hohe Türschwellen zu überwinden.
Transportrollstühle sind meistens faltbar. Allerdings sind sie auch im gefalteten Zustand so hoch und sperrig, dass sie nur in einem großen Kofferraum transportiert werden können.
Der Transportrollstuhl ist so groß, dass das klein gebaute Model die Sache mit den Fußstützen längst aufgegeben hat. Foto: Ivan Samkov via Pexels.
Insgesamt ist der Transportrollstuhl für die aktive Benutzung also eher ungeeignet. Für viele Menschen in prekären Situationen ist er jedoch das beste zugängliche Hilfsmittel. Dies ist ein unerträglicher Zustand, aber wenn es keine bessere Lösung gibt, lässt sich ein Aktivrollstuhl zumeist modifizieren, um ihn besser benutzbar zu machen.
Wenn du an dem Punkt angekommen bist, wo du einen Rollstuhl brauchst, ist ein Transportrollstuhl nicht das Mittel der Wahl. Besonders, wenn du wenig Kraft hast, wenig Energie, Probleme mit den Handgelenken usw. ist ein Transportrollstuhl vermutlich unbenutzbar für dich. Wenn du in einem solchen Gerät sitzt, wirst du nicht vorwärtskommen. Das bedeutet jedoch nicht zwangsweise, dass du generell keinen manuell angetriebenen Rolli benutzen kannst – um das rauszufinden, musst du wirklich einen auf deinen Körper passenden Aktivrollstuhl ausprobieren. Der Unterschied ist drastisch, das kann ich nicht genug unterstreichen.
Ein Transportrollstuhl ist eine Notlösung und ermöglicht in den meisten Fällen keine ausreichende Unabhängigkeit. Trotzdem will ich dieses Hilfsmittel zumindest vorstellen, denn manchmal hat man eben doch keine Möglichkeit, etwas Passenderes zu bekommen, und manchmal braucht man einfach einen Rollstuhl für ein paar Tage im Jahr und sonst eigentlich nicht. Und im Vergleich mit dem zukünftigen Artikel über Aktivrollstühle wird dann hoffentlich allen Lesenden klarwerden, was der Unterschied ist.
Vorteile des Transportrollstuhls:
- Relativ einfach und günstig erhältlich, oft auch für wenige Euros bei Kleinanzeigen o.Ä.
- Ansonsten gibt es gegenüber einem Aktivrollstuhl wirklich keine Vorteile, sorry.
- Allerdings ist es natürlich ein Rollstuhl und bringt die Vorteile eines Rollstuhles mit sich: Man kann sitzend überall hin, wo es rollstuhlzugänglich ist, man muss nicht gehen, man kann Gegenstände auf dem Schoß transportieren (Katzen lieben diesen Trick) und in Innenräumen ist ein Transportrolli mit großen Rädern und Greifringen auch noch adäquat benutzbar. Erst auf der Straße wird es völlig witzlos.
Ein Transportrollstuhl könnte das richtige Hilfsmittel für dich sein:
- Wenn du einen Rollstuhl brauchst, aber nicht vorhast, dich im Außenbereich selbständig fortzubewegen. Solange du jemanden dabei hast, um dich zu schieben, ist das völlig okay.
- Wenn du den Rollstuhl sowieso mit einem Antrieb ausstatten willst und dir die Sitz-Ergonomie einigermaßen egal ist bzw. du kein Problem hast, daran rumzubasteln, bis es passt.
- Für zeitbegrenzte Anwendung z.B. im Rahmen einer Veranstaltung, eines Ausfluges, einer Konferenz etc.
- Zum Überbrücken, bis du einen Aktivrollstuhl kriegst.
Ein Transportrollstuhl ist wahrscheinlich nicht das richtige Hilfsmittel für dich:
- Wenn du dich im Außenbereich selbständig fortbewegen möchtest.
- Wenn du den Rollstuhl in einem kleinen Auto transportieren willst.
- Wenn du auf einen ergonomischen Sitz angewiesen bist (es gibt Sitze mit mehr Stützwirkung, diese sind allerdings dann üblicherweise noch weniger für aktive Nutzung geeignet und sie sind unglaublich teuer).
Wie du einen Transportrolli für aktive Benutzung modifizieren kannst:
- Entferne die Armstützen. Manchmal lassen sie sich einfach abnehmen, in anderen Fällen musst du mit einer Flex dran. Ohne die klobigen Dinger kommst du besser an die Greifringe.
- Setz dich so weit wie möglich nach hinten, um den Schwerpunkt möglichst weit nach hinten zu verlagern.
- Entferne die Fußstützen und ersetze sie durch einen Gurt, den du entweder vorne vom Rahmen abhängst oder unten am Rahmen befestigst. Dadurch nimmst du sehr viel Gewicht von den Vorderrädern und verschiebst den Schwerpunkt noch weiter nach hinten.
- Besorg dir ein bequemes Sitzkissen.
Gefaltete Transportrollstühle sind zwar relativ schmal, aber immer noch sehr hoch und sperrig. Foto: Old MaMa Carol, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Themen: behinderung, mobilitätshilfen, infodump