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Warum ich eine Geschichte über chronisch kranke Menschen geschrieben habe

19. July. 2024

Ich habe einen Roman geschrieben, den man ab heute kaufen kann. Da ich mir keinen Impressumsservice leisten kann und meine Privatadresse nicht ins Internet schreiben will, darf ich leider hier nicht mehr dazu sagen. Aber das Buch war über die letzten 2 Jahre ein großer Teil meines Lebens, und ich möchte davon erzählen und erklären, warum ich gemacht habe, was ich gemacht habe und wieso das Projekt mir so wichtig ist. In einem separaten Beitrag habe ich schon erklärt, warum ich es teilweise in Umgangssprache geschrieben habe.

Also, warum habe ich dieses Buch geschrieben, und warum habe ich den Hauptcharakteren eine unheilbare, stark einschränkende Krankheit verpasst?

Eigentlich ist die Antwort so kurz wie komplex: Ich bin chronisch krank. Der größte Teil meiner Freund*innen ist chronisch krank. Und es gibt keine Geschichten, in denen Leute wie ich oder meine Freund*innen vorkommen, geschweigedenn als Held*innen Abenteuer erleben dürfen.

Selbst bin ich seit 2015 arbeitsunfähig. Ich glaube nicht, dass ich erst 2015 krank geworden bin, aber seit dem Jahr geht es mir so schlecht, dass ich mich nur noch als behindert begreifen kann. Dabei befinde ich mich in demjenigen Sumpf schlecht abgegrenzter und kaum erforschter chronischer Krankheiten, den die Betroffenen nur zu gut verstehen und alle anderen eher nicht so: Irgendwas mit EDS, MCAS, MEFCS, Fibromyalgie, POTS – ein Diagnosechaos, von dem ich ein paar Diagnosen habe und bei den anderen längst aufgegeben habe, dafür irgendwas auf Papier zu bekommen. Auf Hilfe und Behandlung hoffe ich ebenfalls nicht mehr. Diese Art von Erkrankung bedeutet, dass ich dauerhaft Symptome habe, die mich daran hindern, Dinge zu tun, die ich gerne tun möchte. Erschöpfung, Schwäche, Schlafstörungen, Übelkeit, Schwindel, ich kann nicht gut laufen, ich kann nicht gut stehen, ich kann nicht gut schlafen, ich kann nicht gut denken, und jeder Test, der im medizinischen Bereich gemacht wird, kommt entweder „normal“ zurück oder abnormal auf eine Art, mit der niemand etwas anfangen kann.

Von der Gesellschaft fühle ich mich abgehängt und verdrängt. Schon vor Corona war das so. Selbst die Dienste, die eigentlich für kranke und behinderte Menschen gemacht sind, können mit Leuten wie mir und meiner Symptomatik nichts anfangen. Es gibt keine Pflege oder Haushaltshilfe für Menschen, die alltägliche Sachen technisch gesehen noch machen können, aber davon so starke Symptome entwickeln, dass sie tagelang im Bett liegen. Es gibt keine Diagnosen oder Medikamente, wenn alle Tests normal aussehen. Ich bin durch die Arbeitsunfähigkeit arm, aber Angebote wie die Tafel oder Sozialkaufhäuser kann ich nicht oder kaum nutzen, weil ich es körperlich nicht hinschaffe und mich nicht für Assistenz qualifiziere. Und da kommt dann noch Corona dazu: Natürlich macht jede Infektion, egal mit was, meinen Zustand schlimmer, und zwar permanent. Die Gesellschaft als solche, und auch der gesamte medizinische Bereich, haben aber längst entschieden, dass es nicht so schlimm ist, medizinisch fragile Menschen einem ständigen Infektionsrisiko auszusetzen.

Ich lebe in einer Art Parallelrealität. Andere Menschen haben Job, Familie, Ziele und Träume. Sie denken darüber nach, wo sie in den Urlaub hinfahren. Sie gehen auf Festivals und Konferenzen. Sie machen lange Zugfahrten, um Partner*innen zu treffen. Sie überlegen sich, wie sie ihre Wohnung einrichten möchten, und besorgen sich dann die passenden Möbel. Das sind Lebensweisen, die ich grundlegend nicht verstehen kann: Ich plane meine Wochen so, dass ich nach jeder Anstrengung ein bis zwei Tage Erholung habe, und anstrengend sind für mich schon Aufgaben, die gesunde Menschen nebenbei erledigen können, ohne darüber nachzudenken. Einkaufen einen Tag nach einem Arztbesuch? Undenkbar. Videokonferenz am selben Tag wie Staubsaugen? Vielleicht vom Bett aus, und danach werde ich mich zwei bis drei Tage lang fühlen, als würde ich sterben. Müll runterbringen und hinterher noch Duschen? Äh, okay, kann ich zwischendurch zwölf Stunden Pause machen? Dann klappt das vielleicht.

In so einer Parallelrealität zu leben, heißt aber auch, dass ich mich in der Mainstream-Kultur nicht wiederfinden kann. Geschichten sind wichtig für mich – um so mehr in den Phasen, wo es mir nur noch dreckig geht. Wenn ich mich fühle wie durchgekaut und ausgespuckt, brauche ich Ablenkung. Ich brauche Eskapismus. Ich lese Bücher, ich schaue Serien.

Und ich habe noch nie eine Geschichte entdeckt, in der Menschen wie ich vorkommen und angesprochen werden. Es gibt keine Geschichten über Menschen, die so krank sind, außer vielleicht tragische Geschichten darüber, wie schlimm es ist, so krank zu sein, die dann entweder in unserer Heilung oder unserem Tod enden. Wenn wir überhaupt als Charaktere vorkommen, sind wir entweder bemitleidenswerte Opfer unserer Körper, oder wir sind entbehrlich und wertlos. Ich habe zu viele Geschichten gelesen und gesehen, in denen kranke, behinderte Menschen ihr Leben aufgegeben haben, um die anderen, gesunden Charaktere zu schützen und ihnen weiterzuhelfen. Es dreht mir jedes Mal den Magen herum.

Es gibt keine Geschichten über Charaktere, deren Leben ähnliche Qualitäten hat wie mein eigenes, die ähnliche Schwierigkeiten haben, und die trotzdem irgendwie leben können und wollen und sollen. Also wollte ich beweisen, dass das geht. Und nicht nur das: Ich wollte diese Charaktere in die Held*innen-Rolle versetzen. Ich wollte sie Abenteuer erleben lassen, von denen ich mir vorstellen könnte, dass ich selbst sie erleben könnte, und zwar so, wie ich jetzt bin – ohne Wunderheilung zwischendurch; ohne Magie oder Technologie, die meine Symptome ausgleichen kann; ohne Reichtum, Dienerschaft oder Macht.

Ich wollte ein Buch schreiben, in dem Menschen wegen ihrer Krankheit nicht wertlos sind, sondern genau das Gegenteil: dass die Krankheit sie besonders wertvoll und schützenswert macht. Wo von kranken Menschen nicht erwartet wird, dass sie sich für Gesunde opfern, sondern dass die Dynamiken andersherum laufen. Und dass diese Charaktere trotzdem solche Probleme erleben, wie ich sie auch kenne: Die kranken Hauptcharaktere haben genau die alltäglichen Schwierigkeiten, die chronisch kranke Menschen in unserer heutigen Gesellschaft erleben. Sie schaffen es nicht unbedingt, sich selbst zu versorgen, können nicht jederzeit mal spontan das Haus verlassen, sind auf Unterstützung und auf Hilfsmittel angewiesen, leiden unter sozialer Isolation und ärztlicher Fehlbehandlung.

Denn es war mir wichtig, auch die strukturelle Diskriminierung abzubilden. Als chronisch kranke Person erlebe ich es immer wieder, dass Ärzt*innen mir nicht glauben oder versuchen, mir die Schuld an meiner eigenen Krankheit zu geben. Sie versuchen, mir weiszumachen, ich hätte meine Symptome nur, weil ich Angst vor ihnen habe, oder ich könnte meine Erschöpfung durch Muskelaufbau therapieren. Sie diagnostizieren mich mit einer Depression, weil meine körperlichen Symptome mich schwächen. Hauptsache, sie müssen nicht zugeben, dass der Stand der Medizin mir nicht helfen kann. Wenn es alles irgendwie meine Schuld ist, können sie mir hinterherschauen, nachdem ich verletzt und resigniert das Gespräch vorzeitig abgebrochen habe, können die Schultern zucken und zu sich sagen: Tja, wer nicht will, dem kann man auch nicht helfen.

Und diese Haltung widerfährt meinen Charakteren auch. Sie erleben das, was ich erlebe. Trotzdem ist das nicht der Fokus der Geschichte, sondern es ist die Grundlage. Die Geschichte selbst ist ein fantastisches Abenteuer, ein Fenster in eine andere Welt, aber all das baut auf einem Leben auf, in dem ich mich wiederfinden könnte.

Solche Geschichten gibt es eigentlich nicht. Sicher sind irgendwo da draußen ein paar (Wenn jemand von euch welche kennt: Bitte immer her damit!), aber es sind so wenige, dass ich ihnen noch nicht über der Weg gelaufen bin.

Jetzt gibt es eine mehr. Eine Geschichte für kranke Menschen, die sich nicht einmal mehr vorstellen können, wie es sein muss, herumrennen und reisen und aktiv sein und arbeiten und nebenbei den Haushalt und den Job und die Beziehung schmeißen zu können. Eine Geschichte für unheilbare Menschen, die nicht ständig daran erinnert werden wollen, dass unsere Gesellschaft sie für wertlos und verzichtbar hält. Eine Geschichte für behinderte Menschen, die so, wie sie sind, gerne ein magisches Abenteuer erleben würden. Eben eine Geschichte für Menschen, die nie wieder gesund werden.

Themen: kunst, die-träume, behinderung