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Ich kann nicht mehr gut laufen, und jetzt?

02. July. 2024

Juli ist Disability Pride Month. Deshalb möchte ich hier eine Beitragsserie beginnen, mit der ich anderen behinderten Menschen einen Startpunkt für die Auswahl geeigneter Mobilitätshilfen biete.

Foto einer Gruppe behinderter People of Color lachend auf einer Dachterrasse. Zwei haben einen Gehstock, eine hat eine Beinprothese und eine sitzt in einem Rollstuhl.
Foto: Disabled and Here, CC-BY 4.0, Chona Kasinger.

Was mache ich, wenn ich nicht mehr so gut laufen kann, wenn diese Form von Fortbewegung Schmerzen oder Erschöpfungszustände verursacht, wenn ich mich auf meine Beine nicht mehr verlassen kann, wenn ich eigentlich nur von A nach B kommen möchte – aber es geht einfach nicht richtig?

Welche Hilfsmittel stehen mir zur Verfügung, wie finde ich heraus, welches davon zu mir und meinem Leben passt, und wo kriege ich dieses Hilfsmittel her, wenn ich sowieso schon kein Geld habe?

Diese Fragen kommen besonders dann auf, wenn eine Person eine Behinderung oder chronische Erkrankung neu erworben hat oder wenn eine solche sich im Laufe der Zeit verschlechtert hat. So eine Veränderung ist eine einschneidende Erfahrung, meist schmerzhaft, mit viel Verlust und Trauma verbunden. Nicht selten stellt sich das Gefühl ein, man würde damit völlig allein dastehen – Ärzt*innen wissen entweder nicht richtig weiter, spielen unsere Probleme herunter oder tun so, als würden wir sie anlügen; Behörden, Kassen und andere Institutionen werfen uns jeden Stein in den Weg, den sie finden, und wenn der uns dabei am Kopf trifft, ist ihnen das auch egal.

An dieser Stelle möchte diese Beitragsserie ansetzen: Ihr seid nicht allein. Andere Behinderte haben dieses Problem und andere Probleme schon tausendfach erlebt und gelöst. Deshalb will ich hier jede Woche in einem neuen Artikel ein Hilfsmittel vorstellen. Von dieser Seite aus werden die Beiträge über die einzelnen Hilfsmittel dann in der untenstehenden Liste verlinkt.

Ich werde erklären, welche Vorteile jedes einzelne der vorgestellten Geräte hat, unter welchen Bedingungen es geeignet oder nicht geeignet sein könnte, werde Hinweise zur Benutzung geben (sofern ich mit dem entsprechenden Hilfsmittel persönliche Erfahrung habe) und Tips dafür geben, wo ihr es am einfachsten mit wenig Geld herbekommt. Ich hoffe, dass diese Informationen euch dabei helfen, herauszufinden, mit welchen Hilfsmitteln ihr eure Selbständigkeit in der Fortbewegung ein Stück weit zurückerlangen könnt.

Für viele von uns, gerade mit schwankender Symptomatik, gibt es nicht das eine richtige Hilfsmittel, sondern wir verwenden eine Kombination, je nach dem, welche Aufgaben wir erledigen müssen, welche Rahmenbedingungen es gibt und wie es uns momentan geht. Das widerspricht dem gesellschaftlichen Bild, nach dem Leute mit einem gebrochenen Bein Krücken benutzen, alte Leute einen Stock oder einen Rollator, und alle diejenigen, die gar nicht mehr laufen können, einen Rollstuhl.

Die Realität ist oft deutlich komplexer.

Im Gegensatz zum gesellschaftlich vermittelten Bild sind Mobilitätshilfen auch keineswegs eine Einschränkung, sondern im Gegenteil eine Befreiung. Es ist kein Rückschlag, einen Rollstuhl benutzen zu müssen, sondern es ist mega geil, endlich mal wieder ohne Schmerzen oder Erschöpfung wo hinzukommen.

Man wird nicht kränker, wenn man beginnt Hilfsmittel zu benutzen. Ärzt*innen behaupten dies gerne, um uns davon abzubringen. Allerdings ist das eine klassische Verwechslung von Ursache und Wirkung: Natürlich fangen Personen, die gerade dabei sind, körperlich abzubauen, damit an, Hilfsmittel zu benutzen, und natürlich wird dies den Prozess der Verschlechterung nicht aufhalten. Das Hilfsmittel ist daran allerdings nicht schuld, sondern ermöglicht es, trotz der Verschlechterung noch so gut wie möglich am Leben teilzunehmen.

(Wenn ihr mit solchen Behauptungen konfrontiert werdet, fragt ruhig mal nach einer Studie, die sie belegt. Ich schätze, die Antwort dürfte erhellend sein, denn ich habe bislang keine einzige finden können. Dafür gibt es einige Studien, die zeigen, wie positiv diese Hilfsmittel sich auf die betroffenen Personen auswirken.)

Ich durfte mir schon mehrfach anhören, ich würde mich dekonditionieren oder „zu einem Krüppel im Bett mutieren“, wenn ich Hilfsmittel benutze, um Dinge zu tun, die ich ohne Hilfsmittel nicht schaffe. Gestimmt hat das nie. Als es mir körperlich so schlecht ging, dass ich ohne Rollstuhl nicht vom Bett bis aufs Klo kam, habe ich den Rollstuhl benutzt, um vom Bett bis aufs Klo zu kommen. Danach ging es mir eine Weile lang so viel besser, dass ich den Rollstuhl in drei Jahren nur an einem einzigen Tag benutzt habe (um auf eine Demo zu gehen). Ich habe kein Aufbautraining gemacht, ich habe mich nicht wieder „trainiert“, zu laufen, sondern ich habe immer einfach alles so gemacht, wie es für mich am einfachsten und bequemsten war. Der Rollstuhl hat mich nicht dekonditioniert, sondern meine Krankheit hat das getan.

Seitdem gab es noch weitere Phasen, in denen es mal besser und mal schlechter war, und ich benutze je nach dem immer das am besten passende Hilfsmittel, das mir zur Verfügung steht. Diese Werkzeuge helfen mir dabei, auch in den schlechten Phasen noch einkaufen gehen zu können, und bessere Phasen bis aufs Letzte ausnutzen zu können. Denn das Ziel ist immer persönliche Erfüllung und Zufriedenheit und nicht Konformität mit gesellschaftlichen Erwartungen von „Gesundheit“ und „Fähigkeit“. Das ist, was wir meinen, wenn wir von Disability Pride sprechen.

Hilfsmittel sind Werkzeuge. Du kannst sie als solche benutzen. Du musst nicht erst einen Test machen, um zu beweisen, dass du diese Reißzwecke lieber mit dem Hammer in die Wand schlagen möchtest, als sie mit den Fingern reinzudrücken. Du musst dich nicht erst zehnmal am heißen Backblech verbrannt haben, bevor du Backofenhandschuhe benutzen darfst.

Der erste Beitrag über Gehstock und Krücken folgt in den nächsten Tagen. So lange, bis alle Artikel geschrieben und veröffentlicht sind, ist die untenstehende Liste eher Agenda als Inhaltsverzeichnis:

Inhalt:

  • Gehstock und Krücken
  • Rollator
  • Transportrollstuhl
  • Aktivrollstuhl
  • Rollstuhl mit Hilfsantrieb
  • Elektromobil
  • Elektrischer Rollstuhl
  • Tretroller
  • Fahrrad
  • E-Scooter
  • Ebike

Themen: deutsch, disability, mobilitätshilfen