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Gehstock und Krücken

03. July. 2024

Dieser Artikel ist Teil einer Beitragsserie zum Thema Mobilitätshilfen. Hierbei werden verschiedene Hilfsmittel vorgestellt. Die gesamte Liste findet sich im Einstiegsbeitrag: Ich kann nicht mehr gut laufen, und jetzt?

Atmosphärisches Foto einer dicken Schwarzen Person in einem Wald. Die Person stützt sich entspannt auf einen Gehstock.
Foto: Disabled and Here, CC-BY 4.0, Justin Katigbak.

Gehstöcke und Krücken sind die klassischen Gehhilfen. Sie sind klein, billig, niedrigschwellig erhältlich, und eine gute Lösung für alle, die ein bisschen Unterstützung brauchen, aber größtenteils auch ohne klarkommen. Was sie leisten können, ist sehr begrenzt, aber für viele von uns sind sie trotzdem essentielle Hilfsmittel.

Es gibt Gehstöcke und Krücken in vielen verschiedenen Formen und Bauweisen. Diese unterscheiden sich darin, wie viel Unterstützung sie bieten und wie die Belastung auf den Körper verteilt wird. Bei allen Formen ist die korrekte Länge und ergonomische Benutzungsweise von fundamentaler Wichtigkeit, um sich keine Belastungsverletzungen zuzufügen.

Im Folgenden werde ich Gehstöcke und Krücken als zwei separate Kategorien behandeln.

Gehstöcke

Gehstöcke sind wahrscheinlich das einfachste Hilfsmittel zur Mobilität. Sie bieten weniger Stabilität als Krücken, sind aber dafür auch leichter zu handhaben. Ich unterscheide hier zwei grundlegend unterschiedliche Bauweisen für klassische Gehstöcke: In einer Bauweise wird die Hand horizontal nach vorne gestreckt; in der anderen Bauweise befindet sich der Griff etwa auf Hüfthöhe.

Nordic Walking Stöcke:

Auch als Trekkingstöcke bekannt, sind diese Gehstöcke dann hilfreich, wenn die Hände, Handgelenke oder Arme in dieser Position am wenigsten wehtun. Ob das so ist, lässt sich leider nur durch Ausprobieren feststellen. Durch die Greifart ist es nicht möglich, das komplette Gewicht auf die Stöcke zu lagern, aber sie können eine teilweise Entlastung der Beine ermöglichen und mit dem Gleichgewicht helfen.

Zwei ältere Personen in der Stadt, die Trekkingstöcke als Gehhilfen benutzen.
Zwei Personen mit Trekkingstöcken. Foto: FaceMePLS, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Klassischer Gehstock:

Für klassische Gehstöcke gibt es verschiedenste Griffformen (Fritzgriff, Knaufgriff, Offset-Griff, ergonomischer Griff, Rundgriff…), eine ganze Reihe von Fußformen (Spitzfuß, Rundfuß, Vierfuß, …), mehrere Bauweisen mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen (höhenverstellbar, faltbar, starr) und unzählige mehr oder weniger nützliche Extras, die in Stöcke integriert angeboten werden (Klappsitz, Regenschirm, Taschenlampe, Griffschlaufe, Schwert, …). Die gängigsten Eigenschaften und Features werde ich weiter unten noch miteinander vergleichen.

Vorteile von Gehstöcken:

  • Sehr günstig und niedrigschwellig erhältlich, für wenige Euro.
  • Können unheimlich stylish aussehen.
  • Faltbare Stöcke gehen einfach in den Rucksack, auch im Ganzen nehmen sie kaum Platz weg.
  • Mit einer Handschlaufe hat man schnell die Hände frei, auch ohne den Stock ablegen zu müssen.
  • Sichtbare Behinderung: Es ist traurig, dass das als Vorteil eines Hilfsmittels überhaupt angegeben werden muss, aber in unserer heutigen Gesellschaft sind die meisten Leute nur dann bereit, zu helfen, wenn eine Person sichtbar als behindert markiert ist. Mit einem Gehstock in der Hand ist es einfacher, einen Sitzplatz und andere Hilfe angeboten zu bekommen.

Ein Gehstock könnte das richtige Hilfsmittel für dich sein:

  • Wenn du ein Bein auf einer Seite teilweise entlasten möchtest.
  • Wenn du einen instabilen Gang hast und etwas brauchst, woran du dich immer wieder abstützen kannst (ggf. auch nur auf unebenen oder rutschigen Wegen).
  • Wenn du maximale Flexibilität willst und keine Kompromisse darüber machen möchtest, wo du mit deinem Hilfsmittel reinkommst.
  • Wenn du auf deinen üblichen Gehstrecken eigentlich auch ohne Hilfsmittel klarkommst, aber mit einem Stock (oder zweien, wenn du Nordic Walking Sticks benutzt) ein bisschen weniger leiden würdest.
  • Wenn du Bewegungseinschränkungen in einem oder beiden Beinen hast, die es schwer machen, ohne Stütze den nötigen Bewegungsablauf umzusetzen.
  • Wenn du eigentlich andere Hilfsmittel benutzt, aber das in manchen Situationen einfach nicht geht und du dafür eine Lösung brauchst, die besser ist als nix.
  • In Kombination mit anderen Hilfsmitteln: z.B. Ebike oder Elektromobil, um zum Ziel zu kommen, und dann den Gehstock, um in Gebäuden herumzulaufen.

Ein Gehstock ist wahrscheinlich nicht das richtige Hilfsmittel für dich:

  • Wenn du dauerhaft mehr Unterstützung beim Gehen brauchst.
  • Wenn du Probleme mit den Händen, Armen oder Schultern hast und dich darauf nicht sinnvoll abstützen kannst.
  • Wenn du ein Bein komplett entlasten musst.
  • Wenn es dir vorrangig um Energieeinsparung und verringerte Gesamtbelastung geht (Fatigue). Ein Stock mit eingebautem Sitz / Stehhilfe kann ein wenig helfen, aber beim Gehen wird die Belastung nur auf die Hände umverteilt, nicht verringert. Natürlich kann der Stock trotzdem helfen, Stürze zu verhindern, wenn du bei Erschöpfung wackelig wirst.

Worauf du bei Anschaffung eines Gehstocks achten solltest:

  • Der Stock muss unbedingt die richtige Größe haben. Bei üblicher Gangweise wird ein klassischer Gehstock so eingestellt, dass der Arm beim Gehen leicht angewinkelt ist und das Handgelenk sich in Neutralstellung befindet (nicht bzw. möglichst wenig abgewinkelt oder geknickt). Der Mittelhandknochen des Daumens liegt auf dem Griff auf. Die Schultern sollten weder hochgezogen noch nach unten gestreckt werden. Barfuß ist ggf. eine andere Länge nötig als mit Schuhen.
  • Klassische Gehstöcke kannst du relativ einfach kürzen. Zieh den Gummifuß ab, säge so viele Zentimeter vom Stock ab, wie du weniger haben willst, und steck den Fuß wieder drauf.
  • Bei Nordic Walking Sticks sollten sich die Griffe auf einer Höhe befinden, die du gut und ohne Schmerzen greifen kannst.
  • Welche Griffform für dich funktioniert, musst du leider ausprobieren. Das ist sehr individuell.
  • Wenn der Stock einstellbar ist, sollte er eine Feststellschraube besitzen. Diese Schraube verhindert, dass dein ganzes Gewicht nur vom Einstellstift getragen wird. Das ist um so wichtiger, je mehr du wiegst. Außerdem macht der Stock beim Gehen ein nerviges klickendes Geräusch, wenn du ihn nicht festschrauben kannst.
  • Handschlaufe kann ich nur empfehlen. Wenn keine dabei ist, kann man sich auch einfach eine Schnur unter den Griff binden, kein Problem.
  • Es gibt verschiedene Füße zur Auswahl. Füße mit breiter Gummifläche oder mehrfüßige Stöcke bieten mehr Stabilität und helfen besser, wenn es darum geht, das Gleichgewicht zu halten. Klassische dünne Gummifüße sind durchaus universell einsetzbar und oft dann die richtige Wahl, wenn es primär um einseitige Entlastung geht. Spitzfüße aus Metall machen auf Asphalt wenig Sinn, richten in Innenräumen Schäden an, und sind vor allem als Wanderstöcke abseits gepflasterter Wege hilfreich. Füße kannst du im Normalfall austauschen, da es Verschleißteile sind.
  • Beim ersten Stock würde ich noch nicht viel Geld ausgeben. Da geht es darum, herauszufinden, welche Eigenschaften für dich wichtig sind, was funktioniert und was nicht. Ich würde auch auf jeden Fall mit einem einstellbaren Stock anfangen, damit du herausfinden kannst, welche Länge für dich angenehm ist, mit welchen Schuhen du einen kürzeren / längeren Stock brauchst usw.
  • Es gibt Spezialstöcke mit eingebautem Sitz (z.B. Flipstick). Diese sind meist weniger Sitz als Stehhilfe, aber eine Stehhilfe ist in manchen Situationen einfach das Richtige.

Detailaufnahme der Feststellschraube an einem faltbaren Gehstock. Sie befindet sich am unteren Ende des obersten Segments, unterhalb der Einstellschiene. Korrekte Handposition auf einem Gehstock mit Fritzgriff. Das Handgelenk ist in Neutralstellung, der Unterarm leicht gebeugt.
Feststellschraube an einem einstellbaren Gehstock (markiert) und Demonstration der korrekten Handposition auf dem Griff eines Gehstocks. Fotos: skye gänseblum, CC0


Flipstick mit hochgeklapptem Sitz. Der Griff ist im oberen Rand des Sitzes integriert. Flipstick mit heruntergeklapptem Sitz. Der Sitz ist dreieckig und besteht aus Kunststoff.
Mein gut benutzter Flipstick mit integrierter Stehhilfe. Fotos: skye gänseblum, CC0

Worauf du bei Benutzung eines Gehstocks achten solltest:

  • Die übliche Gangweise mit einem klassischen Stock ist so, dass du den Stock gemeinsam mit dem Bein gegenüber bewegst. Wenn das aus welchen Gründen auch immer nicht möglich ist, kann man ihn auch mit dem Bein auf der gleichen Seite bewegen – dies erfordert allerdings deutlich mehr Aufmerksamkeit. Man muss dann ganz besonders darauf achten, keine Haltung einzunehmen, die auf Dauer zu Überlastungsverletzungen führen kann. (Für ein Negativbeispiel schaut euch an, wie Hugh Laurie als Dr. House seinen Stock benutzt. Diese Haltung stellt sich intuitiv ein, wenn man den Stock auf der falschen Seite hält.)
  • Wenn du ungewöhnliche körperliche Eigenschaften hast (insbesondere bei Spastik), kann es sein, dass du deine eigene Gangweise entwickeln musst. Dann kann auch eine andere Konfiguration (Länge, Griffe, Füße…) nötig sein.
  • Es ist empfehlenswert, dir ein paar Videos anzuschauen, die erklären, wie du einen Stock korrekt einstellst, wie du damit gehst, Treppen steigst und so weiter.

Foto einer Person, die mit einem Gehstock auf einem Gehweg geht.
Der Gehstock wird zusammen mit dem gegenüberliegenden Bein bewegt. Foto: Disabled and Here, CC-BY 4.0, Chona Kasinger.

Wo du einen Gehstock günstig herbekommst:

  • Prinzipiell ist es möglich, sich einen Gehstock auf Rezept geben zu lassen, aber Sinn macht das vor allem dann, wenn du teure Spezialausstattung brauchst und dies der Krankenkasse gegenüber belegen kannst.
  • Wenn du schwer bist (ab ca. 130 kg Körpergewicht), ist ein Kassenrezept ebenfalls empfehlenswert, da solche Stöcke sehr teuer sein können, ganz besonders die faltbaren und/oder verstellbaren Modelle.
  • Ansonsten ist es in der Regel einfacher, selbst einen zu kaufen. Einen billigen Stock kriegt man im Internet ab 10 €, angenehm benutzbare gibt es mit etwas Sucherei ab ca. 20 €. Auf Flohmärkten, bei Kleinanzeigen usw. gibt es auch immer mal wieder welche für wenige Euros. Da man sie einfach kürzen kann, muss ein gebrauchter Stock nicht schon von Anfang an die richtige Länge haben, nur zu kurz sollte er nicht sein, denn länger schneiden geht nicht.

Krücken

Krücken sind klobiger als Gehstöcke und anstrengender zu handbaben. Allerdings sind sie dann nahezu unverzichtbar, wenn ein Bein komplett entlastet werden muss und du trotzdem noch gehen möchtest. Sie sind auch praktisch, wenn du mit beiden Beinen Probleme hast und dich sicherer abstützen musst als mit einem Stock. Natürlich kannst du auch eine einzelne Krücke wie einen stabileren Gehstock verwenden. Krücken gibt es in drei sehr unterschiedlichen Bauweisen.

Amerikanische Krücken:

Die Bauweise mit Achselkissen verleitet dazu, die Achseln tatsächlich auf die Krücke aufzulegen. Das ist äußerst ungesund und dadurch können Nervenschäden entstehen. Daher ist dieses Modell für langfristige Benutzung ungeeignet und zum Glück in Deutschland auch nicht gängig. Ich kann euch nur davon abraten, wenn ihr nicht ganz genau wisst, was ihr tut. Daher werden sich auch die Empfehlungen in diesem Teil nur auf Unterarmgehstützen und ihre Varianten beziehen.

Person mit amerikanischen Krücken.
Auf den Achselstützen sollte man möglichst nicht die Achseln ablegen. Foto: Beyathesoccergirl, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Unterarmgehstützen:

Diese Form von Krücke stützt den Unterarm. Das verhindert Abrutschen und Verletzen der Handgelenke oder Sturz. Durch diese Bauweise ist es möglich, auch langfristig nur auf einem Bein zu gehen. Allerdings wird das Gewicht vollständig durch die Handgelenke getragen. Manche hochwertige Modelle haben eine drehbare Manschette, die es erlaubt, den Krückengriff loszulassen und die Krücke vom Arm hängen zu lassen, um im Stehen etwas greifen zu können. Menschen, die für lange Zeit Krücken verwenden, besorgen sich oft solche Modelle, um die Krücken nicht für jeden Handgriff irgendwo abstellen zu müssen.

Person mit nur einem Bein auf Unterarmgehstützen.
Foto: Eren Özdal via Pexels

Krücken mit Unterarmauflage:

Krücken mit Unterarmauflage ermöglichen eine Entlastung der Handgelenke. Natürlich werden dann die Stöße beim Gehen schlechter gefedert und direkt auf Ellenbogen und Schulter übertragen, aber für Menschen mit Handgelenksproblemen ist es trotzdem oft die bessere Lösung. Ansonsten lassen sie sich benutzen wie klassische Unterarmgehstützen. Es gibt auch Krücken (z.B. Smartcrutches), bei denen es möglich ist, den Winkel der Unterarmauflage einzustellen, und so je nach Bedarf zwischen dem Winkel bei einer klassischen Unterarmgehstütze und einem vollen 90°-Winkel zu wechseln.

Krücke mit Unterarmauflage. Der Unterarm wird mit einem Klettverschluss auf der Auflage gehalten. Smartcrutch Krücke mit einstellbarem Unterarmwinkel.
Krücke mit Unterarmauflage und Smartcrutch mit einstellbarem Winkel. Foto links: Henrik Smith. Foto rechts: Smartcrutch. Beide CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons

Vorteile von Krücken:

  • Sehr einfach und günstig auf verschiedenen Wegen erhältlich.
  • Sehr solide Stütze, die es trotz allem nicht unmöglich macht, selbständig Treppen hoch- oder runterzukommen.
  • Du brauchst prinzipiell nur noch ein Bein, um laufen zu können. Was mit dem anderen passiert, ist ein bisschen egal. Alternativ kannst du beide Beine symmetrisch teil-entlasten.
  • Durch die Manschette wird der Unterarm stabilisiert. Dadurch wird einerseits ein ergonomischer Armwinkel erzwungen, und andererseits wird Abrutschen und versehentliches Abknicken des Handgelenks verhindert.
  • Auch wenn Krücken sehr sperrig und in der Handhabe auch teilweise echt einfach nervig sind, wirst du keine Probleme haben, sie in Autos, Bussen, Bahnen usw. zu transportieren. Abgestellt nehmen sie auch kaum Platz weg.
  • Sichtbare Behinderung: Bei Verwendung von Krücken verstehen die meisten Leute, dass du nicht gut laufen kannst, und werden dir entsprechend Platz machen und Hilfe anbieten.

Krücken könnten das richtige Hilfsmittel für dich sein:

  • Wenn du ein Bein dauerhaft oder zeitweise überhaupt nicht mehr belasten kannst und dann trotzdem noch zu Fuß mobil sein möchtest.
  • Wenn du auf beiden Seiten eine teilweise Entlastung der Beine brauchst.
  • Wenn du eine Stütze brauchst, bei der du den Unterarm auflegen kannst, um das Handgelenk nicht zu belasten.
  • In Kombination mit einem anderen Hilfsmittel, z.B. kannst du dir ein Paar Krücken hinten am Rollstuhl befestigen, um auch Räume erreichen zu können, wo du mit Rolli nicht reinkommst.
  • Wenn du erhöhte Sturzgefahr hast, aber unbedingt noch ohne Räder zu Fuß sein musst/willst.
  • Wenn du eigentlich einen Gehstock benutzen würdest, aber mehr Stabilisierung am Arm oder eine Unterarmauflage brauchst: Dann ist eine einzelne Krücke die richtige Wahl.

Krücken sind wahrscheinlich nicht das richtige Hilfsmittel für dich:

  • Wenn du noch Dinge tragen möchtest. Einkaufstasche, Kaffeetasse usw. kannst du damit nicht transportieren; ein Rucksack ist alles, was geht. Du kannst nichts in den Händen tragen. Gar nichts. Vergiss es. Auch nicht dein Handy.
  • Wenn du deine Schultern nicht belasten kannst.
  • Wenn du Schwierigkeiten hast, andauernd mit zwei langen, sperrigen Stöcken zu hantieren.
  • Wenn es um Energieeinsparung und Verringerung der Gesamtbelastung geht. Krücken zu benutzen, ist eher anstrengender, als ohne Hilfsmittel zu laufen. Erschöpfung wirst du damit nicht verringern können.

Worauf du bei Anschaffung von Krücken achten solltest:

  • Die Griffhöhe muss stimmen. Allerdings haben die meisten Krücken so einen enormen Einstellbereich, dass das wirklich nur für außergewöhnlich große oder kleine Menschen bzw. kleine Kinder relevant ist.
  • Allerdings muss auch die Armlänge stimmen. Da der Unterarm in einer Manschette gehalten wird, kommen Schwierigkeiten auf, wenn die Krücke für einen deutlich kürzeren oder längeren Unterarm gebaut ist und sich dort nicht einstellen lässt.
  • Wenn du viel Geld für ein hochwertiges Modell oder für eine Spezialausführung mit einstellbarem Armwinkel ausgibst, sind die korrekte Griffhöhe und Unterarmlänge um so wichtiger.

Worauf du bei Benutzung von Krücken achten solltest:

  • Schau dir unbedingt vorher ein paar Videos an bzw. lasse dir zeigen, wie du mit Krücken läufst. Abhängig davon, ob du ein Bein komplett entlasten möchtest oder beide Seiten teilentlasten willst, ist die Technik eine andere.
  • Treppen sind anspruchsvoll, wenn du niemanden hast, um dir zumindest eine Krücke währenddessen abzunehmen.

Wo du Krücken günstig herbekommst:

  • Natürlich gibt es Krücken auf Rezept, wenn sie dir jemand verschreibt. Dabei kriegst du allerdings nur das billigste Modell.
  • Auf Kleinanzeigen und co gibt es sie immer wieder, oft sogar zu verschenken.
  • Oder einfach mal im Freundeskreis rumfragen, irgendwer hat garantiert noch ein Paar rumliegen.
  • Hochwertigere Krücken sind allerdings leider sehr teuer und praktisch nicht als Kassenleistung zu bekommen.

Themen: deutsch, disability, mobilitätshilfen

Ich kann nicht mehr gut laufen, und jetzt?

02. July. 2024

Juli ist Disability Pride Month. Deshalb möchte ich hier eine Beitragsserie beginnen, mit der ich anderen behinderten Menschen einen Startpunkt für die Auswahl geeigneter Mobilitätshilfen biete.

Foto einer Gruppe behinderter People of Color lachend auf einer Dachterrasse. Zwei haben einen Gehstock, eine hat eine Beinprothese und eine sitzt in einem Rollstuhl.
Foto: Disabled and Here, CC-BY 4.0, Chona Kasinger.

Was mache ich, wenn ich nicht mehr so gut laufen kann, wenn diese Form von Fortbewegung Schmerzen oder Erschöpfungszustände verursacht, wenn ich mich auf meine Beine nicht mehr verlassen kann, wenn ich eigentlich nur von A nach B kommen möchte – aber es geht einfach nicht richtig?

Welche Hilfsmittel stehen mir zur Verfügung, wie finde ich heraus, welches davon zu mir und meinem Leben passt, und wo kriege ich dieses Hilfsmittel her, wenn ich sowieso schon kein Geld habe?

Diese Fragen kommen besonders dann auf, wenn eine Person eine Behinderung oder chronische Erkrankung neu erworben hat oder wenn eine solche sich im Laufe der Zeit verschlechtert hat. So eine Veränderung ist eine einschneidende Erfahrung, meist schmerzhaft, mit viel Verlust und Trauma verbunden. Nicht selten stellt sich das Gefühl ein, man würde damit völlig allein dastehen – Ärzt*innen wissen entweder nicht richtig weiter, spielen unsere Probleme herunter oder tun so, als würden wir sie anlügen; Behörden, Kassen und andere Institutionen werfen uns jeden Stein in den Weg, den sie finden, und wenn der uns dabei am Kopf trifft, ist ihnen das auch egal.

An dieser Stelle möchte diese Beitragsserie ansetzen: Ihr seid nicht allein. Andere Behinderte haben dieses Problem und andere Probleme schon tausendfach erlebt und gelöst. Deshalb will ich hier jede Woche in einem neuen Artikel ein Hilfsmittel vorstellen. Von dieser Seite aus werden die Beiträge über die einzelnen Hilfsmittel dann in der untenstehenden Liste verlinkt.

Ich werde erklären, welche Vorteile jedes einzelne der vorgestellten Geräte hat, unter welchen Bedingungen es geeignet oder nicht geeignet sein könnte, werde Hinweise zur Benutzung geben (sofern ich mit dem entsprechenden Hilfsmittel persönliche Erfahrung habe) und Tips dafür geben, wo ihr es am einfachsten mit wenig Geld herbekommt. Ich hoffe, dass diese Informationen euch dabei helfen, herauszufinden, mit welchen Hilfsmitteln ihr eure Selbständigkeit in der Fortbewegung ein Stück weit zurückerlangen könnt.

Für viele von uns, gerade mit schwankender Symptomatik, gibt es nicht das eine richtige Hilfsmittel, sondern wir verwenden eine Kombination, je nach dem, welche Aufgaben wir erledigen müssen, welche Rahmenbedingungen es gibt und wie es uns momentan geht. Das widerspricht dem gesellschaftlichen Bild, nach dem Leute mit einem gebrochenen Bein Krücken benutzen, alte Leute einen Stock oder einen Rollator, und alle diejenigen, die gar nicht mehr laufen können, einen Rollstuhl.

Die Realität ist oft deutlich komplexer.

Im Gegensatz zum gesellschaftlich vermittelten Bild sind Mobilitätshilfen auch keineswegs eine Einschränkung, sondern im Gegenteil eine Befreiung. Es ist kein Rückschlag, einen Rollstuhl benutzen zu müssen, sondern es ist mega geil, endlich mal wieder ohne Schmerzen oder Erschöpfung wo hinzukommen.

Man wird nicht kränker, wenn man beginnt Hilfsmittel zu benutzen. Ärzt*innen behaupten dies gerne, um uns davon abzubringen. Allerdings ist das eine klassische Verwechslung von Ursache und Wirkung: Natürlich fangen Personen, die gerade dabei sind, körperlich abzubauen, damit an, Hilfsmittel zu benutzen, und natürlich wird dies den Prozess der Verschlechterung nicht aufhalten. Das Hilfsmittel ist daran allerdings nicht schuld, sondern ermöglicht es, trotz der Verschlechterung noch so gut wie möglich am Leben teilzunehmen.

(Wenn ihr mit solchen Behauptungen konfrontiert werdet, fragt ruhig mal nach einer Studie, die sie belegt. Ich schätze, die Antwort dürfte erhellend sein, denn ich habe bislang keine einzige finden können. Dafür gibt es einige Studien, die zeigen, wie positiv diese Hilfsmittel sich auf die betroffenen Personen auswirken.)

Ich durfte mir schon mehrfach anhören, ich würde mich dekonditionieren oder „zu einem Krüppel im Bett mutieren“, wenn ich Hilfsmittel benutze, um Dinge zu tun, die ich ohne Hilfsmittel nicht schaffe. Gestimmt hat das nie. Als es mir körperlich so schlecht ging, dass ich ohne Rollstuhl nicht vom Bett bis aufs Klo kam, habe ich den Rollstuhl benutzt, um vom Bett bis aufs Klo zu kommen. Danach ging es mir eine Weile lang so viel besser, dass ich den Rollstuhl in drei Jahren nur an einem einzigen Tag benutzt habe (um auf eine Demo zu gehen). Ich habe kein Aufbautraining gemacht, ich habe mich nicht wieder „trainiert“, zu laufen, sondern ich habe immer einfach alles so gemacht, wie es für mich am einfachsten und bequemsten war. Der Rollstuhl hat mich nicht dekonditioniert, sondern meine Krankheit hat das getan.

Seitdem gab es noch weitere Phasen, in denen es mal besser und mal schlechter war, und ich benutze je nach dem immer das am besten passende Hilfsmittel, das mir zur Verfügung steht. Diese Werkzeuge helfen mir dabei, auch in den schlechten Phasen noch einkaufen gehen zu können, und bessere Phasen bis aufs Letzte ausnutzen zu können. Denn das Ziel ist immer persönliche Erfüllung und Zufriedenheit und nicht Konformität mit gesellschaftlichen Erwartungen von „Gesundheit“ und „Fähigkeit“. Das ist, was wir meinen, wenn wir von Disability Pride sprechen.

Hilfsmittel sind Werkzeuge. Du kannst sie als solche benutzen. Du musst nicht erst einen Test machen, um zu beweisen, dass du diese Reißzwecke lieber mit dem Hammer in die Wand schlagen möchtest, als sie mit den Fingern reinzudrücken. Du musst dich nicht erst zehnmal am heißen Backblech verbrannt haben, bevor du Backofenhandschuhe benutzen darfst.

Der erste Beitrag über Gehstock und Krücken folgt in den nächsten Tagen. So lange, bis alle Artikel geschrieben und veröffentlicht sind, ist die untenstehende Liste eher Agenda als Inhaltsverzeichnis:

Inhalt:

  • Gehstock und Krücken
  • Rollator
  • Transportrollstuhl
  • Aktivrollstuhl
  • Rollstuhl mit Hilfsantrieb
  • Elektromobil
  • Elektrischer Rollstuhl
  • Tretroller
  • Fahrrad
  • E-Scooter
  • Ebike

Themen: deutsch, disability, mobilitätshilfen