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Männliche Weiblichkeit

16. September. 2023

In letzter Zeit denke ich viel darüber nach, wie genau ich jetzt eigentlich zu Weiblichkeit stehe. Ich bin teilweise sehr überrascht von meinen eigenen Antworten.

Der Hintergrund ist der:

2014 stellte ich fest, dass ich trans bin. 2015 fing ich an mit der Therapie, um Testo zu kriegen und TSG durchzuspielen, und 2016 musste ich das Ganze dann wieder aufgeben, weil der Therapeut mich einfach komplett verarscht hatte. Lange Geschichte, nicht so wichtig. Jedenfalls saß ich dann ziemlich lange ohne alles da – keine Hormone, keine Personenstandsänderung, nichts. Eine Namensänderung machte ich dann über Vornamensänderungsgesetz, danach war das alles zumindest aushaltbar.

Über die Jahre bin ich dann über sehr viele Ecken und Richtungswechsel zu dem Schluss gekommen, dass ich genderfluid bin. Nicht so diese klassische Idee von „jeden Tag was anderes“, sondern bei mir eher ein langsamer, schleichender Wandel über Monate hinweg. So ein- bis zweimal im Jahr hab ich immer wieder eine kleine Krise, weil ich merke, dass mein aktuelles Geschlecht, meine Pronomen und die Art, wie ich mich selbst betrachte, sich auf einmal diffus beschissen anfühlen. Meistens dauert es eine Weile, bis mir dann wieder einfällt, dass ich das schon ein paarmal hatte, und dass ich einfach mal wieder andere Pronomen nehmen sollte… So weit, so undramatisch.

Seit 2021 bekomme ich endlich Testo. Angefangen hat das mit DIY, zum Glück bekam ich dann aber relativ zügig die richtige Unterstützung, sodass es seit 2022 regulär läuft. Trotzdem hielt sich im Alltag die forcierte weibliche Geschlechtszuschreibung relativ hartnäckig. Ich wurde weiterhin durchweg weiblich gegendert und Korrekturen allenfalls belächelt.

Dieses Frühjahr hatte ich dann irgendwann die Schnauze voll, schnitt mir meine Haare ab, und dann war’s gut. Seitdem habe ich relativ solides männliches Passing: so gut, dass z.B. Ärzt*innen mich fragen, warum bei mir denn „weiblich“ drinsteht.

Somit ist das jetzt noch kein halbes Jahr so, dass ich mich als Mann durch die Welt bewege. Vorher wurde ich von Fremden nahezu durchweg als Frau angesprochen und behandelt, während ich jetzt in beinahe jedem Kontext als männlich durchgehe. Und es stimmt auch, im Moment: Ich fühle mich sehr maskulin, auf eine queere, gender-nonkonforme Art. Nicht unbedingt wie ein Mann, aber doch mehr das als irgendwas anderes. Momentan fühle ich mich mit er/sein als Pronomen relativ okay. Na gut, ehrlich gesagt hauptsächlich deswegen, weil ich gerade keine Lust habe, mir was anderes rauszusuchen. Optimal ist es nicht. Aber es ist okay genug, dass die Faulheit überwiegt. El/ems und nin/nims sind gerade einfach nicht das Richtige, xier ist mir für den Alltag zu kompliziert, und für alle anderen müsste ich erstmal meine Tabellen ausfüllen und dann ein paar Texte damit schreiben, um wirklich ein Gefühl dafür zu haben. Also lass ich es einfach. So wichtig ist es mir jetzt auch nicht.

Was mich ein bisschen vor den Kopf stößt, ist, dass mir in den letzten Monaten immer wieder queere und trans Menschen über den Weg laufen, die meinen, meine Position wäre irgendwie außerhalb von Weiblichkeit. (Trans_nbi Personen sind die einzigen, denen ich zu dem Thema überhaupt zuhöre.)

Also… Ja, ich stehe außerhalb des weiblichen Geschlechts, aber irgendwie auch… Nein!

Ich beanspruche diesen Raum (immer noch oder schon wieder) auch für mich.

Bis vor einem halben Jahr habe ich im Alltag die weibliche Rolle erlebt. Für den größeren Teil dieser Zeit war ich davon überzeugt, dass das auch so stimmte (es musste ja, gab ja keine andere Möglichkeit).

Als Mädchen ging ich in die Schule. Ich war das Mädchen, das sich mit Computern auskannte. Ich war das einzige Mädchen in der Linux User Group. Als Frau studierte ich Maschinenbau. Als Frau beanspruchte ich meinen Raum in diversen „Männerclubs“ – beruflich, im Studium, in Hobbies. Ich war als Frau im CCC. Ich arbeitete als IngenieurIN. Und als das aufhörte, wurde ich als Frau krank. Als Frau musste ich mich mit dem Sozialsystem anlegen. Als Frau musste ich Diagnosen jagen gehen.

Und so weiter. Klar, der Schnitt für mich – das „Oh, ich bin ja gar keine Frau“ – kam zwischendurch, und für eine kurze Zeit versuchte ich auch, das in allen diesen Bereichen durchzusetzen, aber nachdem klar war, dass ich in absehbarer Zeit keine rechtlichen oder medizinischen Transitionsschritte unternehmen können würde, gab ich das wieder auf.

Ich habe diese und andere Erfahrungen als Frau gemacht. Nicht nur die guten. Ich habe als Mädchen und als Frau Diskriminierung erlebt, Sexismus, Bevormundung, Spott und Benachteiligung. Ich habe als Mädchen und als Frau sexuelle Belästigung erlebt. Ich habe als Mädchen und als Frau sexuelle Gewalt erlebt.

Und ich sehe es nicht ein, warum ich mich von diesen Erfahrungen und von meiner abgelegten Weiblichkeit – oder von Weiblichkeit allgemein – künstlich distanzieren sollte.

Vielleicht liegt das einfach nur daran, dass es mittlerweile 9 Jahre her ist, dass ich kapiert habe, was ich (nicht) bin. Die Zeit macht einen großen Unterschied, der Drops ist, wie man so schön sagt, gelutscht, und nachdem ich 6 Jahre auf Hormontherapie warten musste und zwischendurch das Projekt, mein korrektes Geschlecht einzufordern, komplett aufgab, lässt es mich einfach absolut kalt, als weiblich einsortiert zu werden.

Dazu kommt die Tatsache, dass ich mich inzwischen relativ gut „angekommen“ fühle. Ich habe mein Passing, ich kann mit meiner Geschlechtspräsentation herumspielen, ich habe jetzt relativ frisch wieder Zugang zu einem Raum, wo ich einfach als mein queeres Selbst existieren kann, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Ich habe meine Hormone und die körperlichen Veränderungen, die ich mir gewünscht hatte (na gut, der Bart wächst bisher fast nur auf dem Hals, aber ist immer noch besser als nix). Klar hätte ich gerne mehr (Mastek wäre nice, ist mir aber einfach zu viel Risiko), aber so, wie es ist, kann es auch bleiben.

Was auch immer der Grund ist, zwei Dinge sind wahr: 1. Ich habe mich der Weiblichkeit nie wirklich fremd gefühlt. 2. Ich habe inzwischen überhaupt nicht mehr das Bedürfnis, mich davon zu distanzieren, und fühle mich nicht mehr so, als müsste ich dieses Fremdfühlen irgendwie trotzdem performen.

In FLINTA*-Spaces fühle ich mich korrekt platziert. Ich habe mehr mit Frauen gemeinsam als mit cis Männern.

Meine alten Fotos, in denen ich mich erkennbar als Frau präsentiere, lösen in mir keinerlei Unwohlsein mehr aus. Das war halt ich, ich hab mich in der Zwischenzeit ein bisschen verändert, okay, ja und?

Als ich neulich ein paar dieser alten Fotos im Fedi postete, kamen einige Reaktionen von anderen trans Personen à la „Ich könnte das nicht“. Irgendwo kann ich das verstehen. Für eine gewisse Zeit fühlte ich mich glaubich genauso. Aber das ist einfach… vorbei.

Es ist ein seltsames Gefühl, von Männern als „einer von ihnen“ wahrgenommen zu werden. Einerseits ist es etwas, das ich mir immer gewünscht habe. Andererseits geht es mir jetzt, wo ich es habe, auch wieder ein bisschen gegen den Strich, weil ich das Gefühl habe, dass dadurch eben ein anderer Teil von mir ausgeblendet wird. Ich bin momentan definitiv eher männlich, aber ich bin eben eine männliche Person mit einer weiblichen Vergangenheit.

Und darum stört es mich, wenn ich als trans-männliche Person als außerhalb von Weiblichkeit platziert werde; als Person, die Frauen entweder unterstützen oder eine Gefahr für sie sein kann; in Relation zu Frauen auf einer Ebene mit cis Männern.

Ich sehe mich als überhaupt nicht außerhalb von Weiblichkeit. Ich bin zwar keine Frau, aber ich habe diesen Platz so lange eingenommen, dass sie ein fester Teil von mir geworden ist, und ich sehe es schlichtweg nicht mehr ein, irgendwelche Teile von mir abzuschneiden, nur um mich in ein normatives Bild von Geschlechtsidentitäten pressen zu können.

Vielleicht ist das auch wieder nur temporär, irgendein seltsames Mischgeschlecht, das ich gerade erlebe, was sich irgendwann wieder in etwas anderes verwandeln wird. Das ist bei mir natürlich immer eine Option. Vielleicht bin ich auch jetzt noch nichtbinär genug, dass es mich stört, auf einer binären Seite einsortiert zu werden.

So oder so, es geht mir auf den Sack und ich will das alles nicht. Dass ich ein trans Typ bin, dass ich „er“-Pronomen benutze, dass ich mich männlich präsentiere, heißt halt noch lange nicht, dass ich jetzt auf einer ganz anderen Ebene gelandet bin.

Klar verleiht mir männliches Passing in manchen Situationen ein gewisses (sehr zerbrechliches) Privileg – aber ich weiß eben auch äußerst genau, wie ich das einzusetzen habe (und wie nicht). Ich hatte es bis vor einem halben Jahr nämlich nicht. Wenn es mir von jetzt an erhalten bleibt, werde ich mich vielleicht irgendwann weniger scharf daran erinnern, wie es war, mich als Frau durch die Welt zu bewegen, aber da können wir dann in 20 oder 30 Jahren nochmal darüber sprechen.

Bis dahin werde ich mich jedenfalls in irgendein binaristisches Weltbild quetschen lassen. Weder meine Pronomen, noch meine Hormonspritzen, noch mein Haarschnitt haben meine Erfahrungen, die guten wie die schlechten, aus meinem Gedächtnis gelöscht.

Ich betrachte das als eine Rebellion gegen toxische Männlichkeit: Der Wunsch, sich von allem Weiblichen zu distanzieren, kommt nicht von einem guten Fleck. Indem ich meine Weiblichkeit, meine weibliche Vergangenheit, meine weiblichen Erfahrungen als Teil von mir annehme und Raum für sie schaffe, wehre ich mich gegen diesen patriachalen Zwang.

Vielleicht ist das ein guter Abschluss für diesen Post. Lasst trans Männern den Raum, ihre Weiblichkeit weiter auszuleben. Es fühlt sich nicht gut an, gewaltvoll aus Räumen verdrängt zu werden, in denen wir jahrzehntelang zuhause waren. Es fühlt sich nicht gut an, sich für die eine oder andere Seite entscheiden zu müssen, wenn man einfach ein bisschen zu beiden gehört.

Themen: trans, persönlich