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FLINTA, FLT, CCC, die Haecksen und die Trans-Erfahrung

05. May. 2024

Ich finde ja, dass wir alle mehr zu unseren Fehlern stehen und unsere Meinung auch mal ändern sollten.

Vor ein paar Monaten schrieb ich noch hier im Blog:

In FLINTA*-Spaces fühle ich mich korrekt platziert. Ich habe mehr mit Frauen gemeinsam als mit cis Männern.

Inzwischen ist mir klar, wie sehr dieses Gefühl von (ingesamt eher seltenen) positiven Erfahrungen und auch teilweise von Privilegien geprägt war (von denen ich einige inzwischen nicht mehr habe). Deshalb möchte ich mehr darüber schreiben, wie ich inzwischen zu dieser Frage stehe, wo meine ursprüngliche Meinung herkam, und warum sich das geändert hat.

Fangen wir mal ganz vorne an.

Das ist alles nichts Neues

Die bekannte Kritik an „FLINTA“-Spaces ist, dass dort Menschen, die nicht sehr feminin sind, die sich nicht weiblich identifizieren und mit Weiblichkeit wenig gemeinsam haben, eigentlich implizit ausgeschlossen sind, auch wenn sie explizit eingeschlossen sind. Das klingt vielleicht zunächst unintuitiv, aber in der Erfahrung vieler Personen zeigt es sich eben doch: Personen, die männlich gelesen werden, werden oft schon bei einer (tatsächlich stattfindenden oder impliziten) Eingangskontrolle abgewiesen, selbst dann, wenn es Frauen sind; viele der anwesenden cis Frauen reproduzieren Transfeindlichkeit; oft wird davon ausgegangen, die Gruppe bestünde nur aus Frauen oder Personen, für die es okay ist, als solche angesprochen zu werden.

Und diese Probleme sind nicht neu. Ich erinnere mich gut, dass exakt dieselben Punkte schon angesprochen wurden, als es noch FLT hieß. Irgendwann kam dann ein Sternchen dazu und dann wurde es FLIT* und FLINT* und schließlich FLINTA*. (Ganz am Rande ist das auch der Grund, warum ich persönlich immer noch FLINTA schreibe statt FINTA: Ich finde, es ist ein ganz anderes Kaliber, einen historisch fundamentalen Buchstaben rauszunehmen, als welche hinzuzufügen. Aber ich denke, dass hier verschiedene Sichtweisen nebeneinander existieren können, ohne dass das immer totdiskutiert werden muss, auch wenn bei diesem Thema natürlich die L-Gruppe das letzte Wort haben muss und nicht ich.)

Irgendwie war ich aber nach Jahren der Diskussion der Meinung, wir hätten die lange bekannten Probleme… gelöst. Weil ich nicht über sie drüber gestolpert bin.

Was vor allen Dingen daran lag, dass ich mich sehr selten und wenig in FLINTA-Spaces aufgehalten habe und wenn, dann in welchen, die ganz vorrangig von queerfeministisch arbeitenden trans_nbi Personen organisiert wurden.

Aber mit Sicherheit lag es auch zumindest zum Teil daran, dass ich für sehr lange Zeit als nichtbinäre Person mit weiblichem Passing unterwegs war, und über Misgendering in FLINTA-Spaces nur müde gelächelt habe. Jetzt, da ich auf Testo bin, mit etwas Mühe und einer Lederjacke auch mal männliches Passing erzielen kann und für falsche Geschlechtszuschreibungen absolut keine Geduld mehr übrighabe, sieht die Sache teilweise schon ganz anders aus.

Der CCC und die Haecksen

Letztes Jahr bin ich meinem lokalen CCC beigetreten. Das war eine interessante Erfahrung, weil ich dort von vielen Menschen anfangs als cis-männlich gelesen und auch entsprechend behandelt wurde. Inzwischen haben die meisten Leute kapiert, dass ich das eben nicht bin, und ich stelle zunehmend auch wieder Sexismus fest – zum Glück immer noch relativ selten, einfach, weil der Großteil der Menschen, mit denen ich dort interagiere, kompromisslos queerfeministisch drauf ist. Insofern ist das alles noch völlig im Rahmen, da habe ich schon ganz andere Erfahrungen gemacht.

Im gleichen Zuge bin ich auch irgendwie bei der lokalen Haecksen-Gruppe gelandet. Die lokale Haecksen-Gruppe besteht hauptsächlich aus trans Personen und ein paar cis Frauen, die „FLINTA“ nicht nur akzeptieren, sondern leben. Es ist absolut angenehm. Ich fühlte mich in meiner Haltung gegenüber dem Konzept FLINTA bestätigt: Es ist nice, und teilweise ist es zwar schade, dass queerfeministische dya-cis Männer nicht dabei sein können, aber dafür sind auch die arschigen cis Typen nicht dabei und das ist schon irgendwie gemütlich so.

Tjaa und ein paar Monate später schlug ich dann bei den Haecksen selbst auf. Die Haecksen sind eine Organisation, die es schon echt, echt lange gibt. Das Haecksen-Wiki reicht nur 2006 zurück, was ziemlich genau die Hälfte ihrer Lebenszeit seit 1988 abdeckt. Während meiner ersten Zeit im CCC um 2012 rum waren sie auch schon immer irgendwo in meinem Dunstkreis. Ursprünglich ein formlos organisierter Verband von CCC-nahen Hackerinnen, ist die Gruppe besonders in der letzten Zeit stark angewachsen, hat sich 2021 auch offiziell für FLINTA* geöffnet und hat seit Kurzem sogar einen eigenen formell registrierten Verein.

Bei den Haecksen wurde mir schlagartig klar, wo diese ganze Kritik am Konzept „FLINTA“ eigentlich herkommt, weil ich zum ersten Mal die Realität in einer Gruppierung erlebte, die FINTA draufschreibt und damit nicht radikalen Queerfeminismus meint, sondern Frauen, Inter, Nichtbinär, Trans und Agender. (Irgendwie kommt es mir da auch nicht mehr so zufällig vor, dass das „L“ nicht mehr mit drin steht.)

Indem die Grenzen, wer zur Gruppe gehört und wer nicht, teils auf biologistischen Definitionen und teils auf Selbstidentifikation gefußt werden, wird die Chance verschenkt, eine politisch aktionsfähige und für alle Mitglieder sozial aushaltbare Kultur zu schaffen. Frauen dürfen mitmachen, auch wenn sie transfeindliche Standpunkte vertreten; Männer dürfen dabei sein, sofern sie über die korrekte Biologie verfügen; trans Personen sind irgendwie mitgemeint, aber wahrgenommen werden vor allen Dingen transfeminine Personen, während transmaskuline Personen ohne männliches Passing einfach als „Frauen*“ einsortiert werden. (Dass dieses Frauen-mit-Sternchen ein zutiefst problematischer Begriff ist, werde ich hier nicht nochmal groß erläutern – das wissen wir auch schon seit „FLT“-Zeiten. Die Diskussion halte ich seit spätestens 2014 für abgeschlossen. Ich verwende den Begriff auf plakativ-sarkastische Art.)

FLINTA heißt nicht progressiv

Über mehrere Monate hinweg schaute ich mir diese Sache mit zunehmendem Unwohlsein an. Ich redete mit ein paar trans Personen bei den Haecksen, versuchte (anfangs vergeblich) ein bisschen Vernetzung zu finden, und dann hatte ich das Maß irgendwann voll. Mein Problem ist ja: Wenn ich so ein Ding sehe, was behauptet, stabil zu sein und zu funktionieren, aber dann hat es solche Risse, die wie Bruchkanten aussehen… Dann kann ich es mir nicht verkneifen. Ich muss einfach mal dagegenklopfen um zu gucken, was passiert. Also hab ich mal auf der Haecksen-Mailingliste gegen die FLINTA-Inklusion geklopft und die ganze Chose ist uns gepflegt um die Ohren geflogen.

Ich bin jetzt auch kein überrumpeltes Opfer in dieser Sache. Ich konnte sehr gut abschätzen, was passieren würde. Ich hatte mich wochenlang darauf vorbereitet, diese Diskussion anzustoßen, und bin auch immer noch bereit, sie bis zum bitteren Ende weiterzuführen. Nach zehn Jahren als trans Person und einer Lebenszeit als zwangsweise-weiblich-einsortierte Person in technischen Bereichen hab ich es gestrichen satt, mich immer wieder rausdrängeln zu lassen. Ich sehe auch, wie viele junge trans Personen sich im CCC und bei den Haecksen einfinden und dort Support und Akzeptanz erwarten, und ganz besonders für diese neue Generation sehe ich uns alte Säcke in der Pflicht, diesen Ansprüchen auch verdammt nochmal endlich gerecht zu werden. Es muss ja für die jungen Leute nicht wieder genauso scheiße sein, wie es für uns war.

Dennoch hat es mich schwer enttäuscht, zu sehen, wie stark die Haecksen in dieselben Muster rutschen wie der CCC selbst, nur eben gegenüber einer anderen diskriminierten Gruppe. So, wie ich es verstanden habe, gehört es stark zum Selbstverständnis der Haecksen, einen Schutzraum zu bieten, in dem die antifeministischen Denk- und Verhaltensweisen, die uns aus dem Chaos und anderen cis-männlich geprägten Strukturen zu Genüge bekannt sind, eben explizit nicht reproduziert werden. Als ich den Haecksen beitrat, hatte ich mir genau das erhofft: queerfeministische Praxis ohne Bullshit. Stattdessen habe ich nun das Gefühl, jetzt einfach in einer zweiten Chaos-Gruppe gelandet zu sein. („Chaos“ steht in diesem Artikel für ein Konzept, mit dem das erweiterte CCC-Umfeld beschrieben werden kann.)

Es waren nicht nur die transfeindlichen Reaktionen, das Umlenken der Diskussion auf andere Themen, das Absprechen und Verharmlosen der Erfahrungen von trans Personen, die Unsichtbarmachung von trans Menschen, das Übersehen/Übergehen des Transseins einiger Personen usw., sondern auch die Art, wie damit umgegangen wurde und wird: Forderungen, wir sollten uns doch alle vertragen; Ausdruck des Wunsches, dass Spaltung bitte zu verhindern sei; der Wunsch, dass sich alle hier wohlfühlen sollen, also die trans Personen so wie auch diejenigen, die gerade transfeindlich argumentieren; im Anschluss kleinteilige Diskussionen darüber, ob man jetzt am besten Haecksen oder Haeckser*innen oder Haecksys sagt statt darüber nachzudenken, wie sich die Gruppe als Ganzes auf queerfeministische Praxis fokussieren kann, wie trans Personen geschützt werden sollen und wie die Gruppe dem „INTA“ gerecht werden will.

Insbesondere dieser Umgang ist es, was mich triggert, denn dieses „vertragt euch doch alle“ habe ich durchgespielt. Bis zum bitteren Ende. Als ich dann irgendwann bei der Mitgliederversammlung einer Linux User Group am selben Tisch saß wie der Typ, der mich ein paar Jahre lang missbraucht und mindestens einmal direkt vergewaltigt hat, war ich eigentlich nur froh, dass es die MV zur Auflösung des Vereins war, weil ich sonst hätte austreten müssen. Es war klar, dass niemand gegen einen von uns beiden Partei ergreifen würde. Wir sollten unsere persönlichen Differenzen nicht zu einem Gruppenthema machen und beide willkommen sein und unseren Platz in dem Verein haben, der unser gemeinsames Interesse und so weiter und so fort.

In einer queerfeministischen Organisation haben solche Denkweisen keinen Platz. Aber das ist eben der springende Punkt: Wenn die zentrale Gemeinsamkeit einer Organisation die geschlechtliche Zugehörigkeit ist und nicht die politische Praxis, dann kann man auch nicht davon ausgehen, dass sich eine progressive Kultur darin durchsetzt.

Können wir das besser?

Wenn man sich die Entwicklung der letzten Jahre anschaut, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass das Chaos-Umfeld für junge, technisch und politisch interessierte, queere und insbesondere trans Personen längst zu einer Basis geworden ist, in der sie sich vernetzen, organisieren, und auch ausruhen. Hier finden sie Freundschaften, Perspektiven, emotionalen Rückhalt und auch ganz praktische Hilfe. Das war auch schon vor zehn Jahren so, aber der Fokus hat sich immer mehr in Richtung queer, bunt, und feministisch verschoben, was ich mit sehr viel Freude beobachtet habe.

Die Haecksen insbesondere positionieren sich als Anlaufstelle für genau diese Personen, oder zumindest für den Teil davon, der den Geschlechtstest besteht. Aber weder das Chaos-Umfeld selbst, noch die Haecksen, besitzen die Strukturen, um die Bedürfnisse marginalisierter Menschen nach einem Raum, in dem sie einigermaßen sicher sind, zu erfüllen.

Aus queerfeministischer Praxis wissen wir eigentlich, wie das geht. Es ist hinlänglich bekannt, dass der Themenkomplex „Code of Conduct“ und dessen Durchsetzung nur den Anfang darstellt, und schon hieran scheitert es oft. Es wird zwar immer mehr darauf hingearbeitet, zumindest Vertrauenspersonen und Gesprächsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, aber wenn das fundamentale Ziel immer noch Konfliktlösung und Deeskalation sind und nicht der Schutz marginalisierter Personen vor Anfeindung, Ausgrenzung, Belästigung und Gewalt, dann funktioniert auch das nur mittelmäßig gut.

Dieser Schutz ist das, was Organisationen wie die Haecksen eigentlich bieten müssten, aber nicht tun.

Und meiner Meinung nach ist er auch das, was der CCC bieten müsste. Einfach aus dem Grund, dass die Personen, die den Verein heutzutage am Laufen halten, diesen Schutz benötigen. Ein Verein, ein Space, ein Club ist schließlich nichts anderes als die Menschen, die ihn bilden, und diese müssen von der entsprechenden Organisation auch unterstützt werden.

Mit aktivem Schutz vor Diskriminierung wäre es eigentlich auch noch nicht getan. Marginalisierte Personen brauchen oft auch ganz praktische Hilfe, die über Vereinsarbeit hinausgeht, und profitieren von generationenübergreifender Vernetzung mit anderen Mitgliedern ihrer Gruppe. In vielen Fällen wird emotionale Unterstützung und Unterstützung bei der Klärung zwischenmenschlicher Probleme benötigt, oft auch Hilfe mit für marginalisierte Menschen typischen Problemen wie Schutz vor gewalttätigen Personen, Orientierung bzgl. Studium oder Arbeitsplatz, Unterstützung bei Wohnungslosigkeit, Vernetzung mit gezielteren sozialen Angeboten usw.

Das ist übrigens auch das, was ich unter „radikalem“ Queerfeminismus verstehe: Das radikale Angehen von den Problemen, die diskriminierte Personen tatsächlich haben, und das Zusammenlegen von Ressourcen zu diesem Zweck. Für mich stellt sich da auch weniger die Frage, ob ein Verein, eine Gruppe oder eine Organisation diese Art von Unterstützung leisten kann oder will – wenn diese Menschen schon da sind und die Hilfe brauchen, kann man entweder zupacken und helfen oder zuschauen, wie sie auf die Fresse fallen. Mir für meinen Teil hat es gereicht, dabei zu sein, wie meine eigene Generation auf die Fresse fallen gelassen wurde. Tatenlos zuzusehen, wie es der nächsten Generation genauso ergeht, ist in meinen Augen keine Option.

So oder so: Die Basis, um diese Form von Gemeinschaft überhaupt strukturell aufbauen zu können, ist immer eine grundlegende Sicherheit. Solange Transfeindlichkeit geäußert werden kann, ohne dass die sich so äußernde Personen zügig und entschieden Konsequenzen dafür erfahren, ist diese Sicherheit nicht gewährleistet. Und hierfür braucht es letztlich Personen in Autoritätspositionen (explizit oder dynamisch zugewiesen), die sich darum kümmern, diese Sicherheit herzustellen. Im Chaos-Umfeld speziell besteht oft eine große Diskrepanz dazwischen, welche Arten von Personen die tägliche Arbeit leisten, welche Arten von Personen den Raum nutzen und zu ihrer Heimat machen, und welche Arten von Personen die Regeln machen und Autorität ausüben. Das ist bei den Haecksen nicht sehr anders.

Und es ist ein Problem.

Kann ich das besser?

Für mich persönlich ergibt sich aus diesen Erfahrungen nun der Standpunkt, dass ich „FLINTA“ nicht mehr für eine progressiv politisch aktionsfähige Abgrenzung halte.

Das bedeutet nicht, dass ich die Abkürzung nicht mehr benutzen werde, mich aus allen FLINTA-Spaces zurückziehen werde, oder dass ich diese Abgrenzung für universell ungerechtfertigt und sinnlos halte. Ich halte es nach wie vor für eine relevante Sortierung, um beispielsweise Analysen vorzunehmen oder vertrauliche Schutzräume und Anlaufstellen zu schaffen.

Allerdings gehe ich nicht mehr davon aus, dass queerfeministischer Aktivismus effektiv passieren kann, wenn wir die Hälfte der Leute, die im selben Boot sitzen wie wir (behinderte Menschen, rassifizierte Menschen, queere Männer, …) ausschließen, wenn die den Geschlechtstest nicht bestehen, und gleichzeitig Personen mit antiprogressiven Haltungen nicht nur dulden, sondern ihnen auch ein gleichberechtigtes Mitspracherecht zuteilen.

FLINTA-Gruppen sind, zumindest jenseits von Kleingruppierungen Gleichgesinnter, keine aktivistischen, radikalen, progressiven Gruppen, von denen Veränderung ausgehen kann, oder die dafür gewappnet sind, den Bedürfnissen stark marginalisierter Personen gerecht zu werden. Es sind gemütliche Austauschgruppen für „Frauen*“, von denen die meisten weiß, cis, und abled sein werden, damit sie sich sicher und unbelästigt fühlen können.

Der Rest von uns, der an tatsächlichem Fortschritt interessiert ist, wird sich neue Wege ausdenken müssen, um unsere politischen und sozialen Ziele in den Mittelpunkt zu stellen statt einer fadenscheinigen Grenzziehung um Geschlechtsidentitäten.

Themen: trans, deutsch, persönlich, chaos

Männliche Weiblichkeit

16. September. 2023

In letzter Zeit denke ich viel darüber nach, wie genau ich jetzt eigentlich zu Weiblichkeit stehe. Ich bin teilweise sehr überrascht von meinen eigenen Antworten.

Der Hintergrund ist der:

2014 stellte ich fest, dass ich trans bin. 2015 fing ich an mit der Therapie, um Testo zu kriegen und TSG durchzuspielen, und 2016 musste ich das Ganze dann wieder aufgeben, weil der Therapeut mich einfach komplett verarscht hatte. Lange Geschichte, nicht so wichtig. Jedenfalls saß ich dann ziemlich lange ohne alles da – keine Hormone, keine Personenstandsänderung, nichts. Eine Namensänderung machte ich dann über Vornamensänderungsgesetz, danach war das alles zumindest aushaltbar.

Über die Jahre bin ich dann über sehr viele Ecken und Richtungswechsel zu dem Schluss gekommen, dass ich genderfluid bin. Nicht so diese klassische Idee von „jeden Tag was anderes“, sondern bei mir eher ein langsamer, schleichender Wandel über Monate hinweg. So ein- bis zweimal im Jahr hab ich immer wieder eine kleine Krise, weil ich merke, dass mein aktuelles Geschlecht, meine Pronomen und die Art, wie ich mich selbst betrachte, sich auf einmal diffus beschissen anfühlen. Meistens dauert es eine Weile, bis mir dann wieder einfällt, dass ich das schon ein paarmal hatte, und dass ich einfach mal wieder andere Pronomen nehmen sollte… So weit, so undramatisch.

Seit 2021 bekomme ich endlich Testo. Angefangen hat das mit DIY, zum Glück bekam ich dann aber relativ zügig die richtige Unterstützung, sodass es seit 2022 regulär läuft. Trotzdem hielt sich im Alltag die forcierte weibliche Geschlechtszuschreibung relativ hartnäckig. Ich wurde weiterhin durchweg weiblich gegendert und Korrekturen allenfalls belächelt.

Dieses Frühjahr hatte ich dann irgendwann die Schnauze voll, schnitt mir meine Haare ab, und dann war’s gut. Seitdem habe ich relativ solides männliches Passing: so gut, dass z.B. Ärzt*innen mich fragen, warum bei mir denn „weiblich“ drinsteht.

Somit ist das jetzt noch kein halbes Jahr so, dass ich mich als Mann durch die Welt bewege. Vorher wurde ich von Fremden nahezu durchweg als Frau angesprochen und behandelt, während ich jetzt in beinahe jedem Kontext als männlich durchgehe. Und es stimmt auch, im Moment: Ich fühle mich sehr maskulin, auf eine queere, gender-nonkonforme Art. Nicht unbedingt wie ein Mann, aber doch mehr das als irgendwas anderes. Momentan fühle ich mich mit er/sein als Pronomen relativ okay. Na gut, ehrlich gesagt hauptsächlich deswegen, weil ich gerade keine Lust habe, mir was anderes rauszusuchen. Optimal ist es nicht. Aber es ist okay genug, dass die Faulheit überwiegt. El/ems und nin/nims sind gerade einfach nicht das Richtige, xier ist mir für den Alltag zu kompliziert, und für alle anderen müsste ich erstmal meine Tabellen ausfüllen und dann ein paar Texte damit schreiben, um wirklich ein Gefühl dafür zu haben. Also lass ich es einfach. So wichtig ist es mir jetzt auch nicht.

Was mich ein bisschen vor den Kopf stößt, ist, dass mir in den letzten Monaten immer wieder queere und trans Menschen über den Weg laufen, die meinen, meine Position wäre irgendwie außerhalb von Weiblichkeit. (Trans_nbi Personen sind die einzigen, denen ich zu dem Thema überhaupt zuhöre.)

Also… Ja, ich stehe außerhalb des weiblichen Geschlechts, aber irgendwie auch… Nein!

Ich beanspruche diesen Raum (immer noch oder schon wieder) auch für mich.

Bis vor einem halben Jahr habe ich im Alltag die weibliche Rolle erlebt. Für den größeren Teil dieser Zeit war ich davon überzeugt, dass das auch so stimmte (es musste ja, gab ja keine andere Möglichkeit).

Als Mädchen ging ich in die Schule. Ich war das Mädchen, das sich mit Computern auskannte. Ich war das einzige Mädchen in der Linux User Group. Als Frau studierte ich Maschinenbau. Als Frau beanspruchte ich meinen Raum in diversen „Männerclubs“ – beruflich, im Studium, in Hobbies. Ich war als Frau im CCC. Ich arbeitete als IngenieurIN. Und als das aufhörte, wurde ich als Frau krank. Als Frau musste ich mich mit dem Sozialsystem anlegen. Als Frau musste ich Diagnosen jagen gehen.

Und so weiter. Klar, der Schnitt für mich – das „Oh, ich bin ja gar keine Frau“ – kam zwischendurch, und für eine kurze Zeit versuchte ich auch, das in allen diesen Bereichen durchzusetzen, aber nachdem klar war, dass ich in absehbarer Zeit keine rechtlichen oder medizinischen Transitionsschritte unternehmen können würde, gab ich das wieder auf.

Ich habe diese und andere Erfahrungen als Frau gemacht. Nicht nur die guten. Ich habe als Mädchen und als Frau Diskriminierung erlebt, Sexismus, Bevormundung, Spott und Benachteiligung. Ich habe als Mädchen und als Frau sexuelle Belästigung erlebt. Ich habe als Mädchen und als Frau sexuelle Gewalt erlebt.

Und ich sehe es nicht ein, warum ich mich von diesen Erfahrungen und von meiner abgelegten Weiblichkeit – oder von Weiblichkeit allgemein – künstlich distanzieren sollte.

Vielleicht liegt das einfach nur daran, dass es mittlerweile 9 Jahre her ist, dass ich kapiert habe, was ich (nicht) bin. Die Zeit macht einen großen Unterschied, der Drops ist, wie man so schön sagt, gelutscht, und nachdem ich 6 Jahre auf Hormontherapie warten musste und zwischendurch das Projekt, mein korrektes Geschlecht einzufordern, komplett aufgab, lässt es mich einfach absolut kalt, als weiblich einsortiert zu werden.

Dazu kommt die Tatsache, dass ich mich inzwischen relativ gut „angekommen“ fühle. Ich habe mein Passing, ich kann mit meiner Geschlechtspräsentation herumspielen, ich habe jetzt relativ frisch wieder Zugang zu einem Raum, wo ich einfach als mein queeres Selbst existieren kann, ohne mich rechtfertigen zu müssen. Ich habe meine Hormone und die körperlichen Veränderungen, die ich mir gewünscht hatte (na gut, der Bart wächst bisher fast nur auf dem Hals, aber ist immer noch besser als nix). Klar hätte ich gerne mehr (Mastek wäre nice, ist mir aber einfach zu viel Risiko), aber so, wie es ist, kann es auch bleiben.

Was auch immer der Grund ist, zwei Dinge sind wahr: 1. Ich habe mich der Weiblichkeit nie wirklich fremd gefühlt. 2. Ich habe inzwischen überhaupt nicht mehr das Bedürfnis, mich davon zu distanzieren, und fühle mich nicht mehr so, als müsste ich dieses Fremdfühlen irgendwie trotzdem performen.

In FLINTA*-Spaces fühle ich mich korrekt platziert. Ich habe mehr mit Frauen gemeinsam als mit cis Männern.

Meine alten Fotos, in denen ich mich erkennbar als Frau präsentiere, lösen in mir keinerlei Unwohlsein mehr aus. Das war halt ich, ich hab mich in der Zwischenzeit ein bisschen verändert, okay, ja und?

Als ich neulich ein paar dieser alten Fotos im Fedi postete, kamen einige Reaktionen von anderen trans Personen à la „Ich könnte das nicht“. Irgendwo kann ich das verstehen. Für eine gewisse Zeit fühlte ich mich glaubich genauso. Aber das ist einfach… vorbei.

Es ist ein seltsames Gefühl, von Männern als „einer von ihnen“ wahrgenommen zu werden. Einerseits ist es etwas, das ich mir immer gewünscht habe. Andererseits geht es mir jetzt, wo ich es habe, auch wieder ein bisschen gegen den Strich, weil ich das Gefühl habe, dass dadurch eben ein anderer Teil von mir ausgeblendet wird. Ich bin momentan definitiv eher männlich, aber ich bin eben eine männliche Person mit einer weiblichen Vergangenheit.

Und darum stört es mich, wenn ich als trans-männliche Person als außerhalb von Weiblichkeit platziert werde; als Person, die Frauen entweder unterstützen oder eine Gefahr für sie sein kann; in Relation zu Frauen auf einer Ebene mit cis Männern.

Ich sehe mich als überhaupt nicht außerhalb von Weiblichkeit. Ich bin zwar keine Frau, aber ich habe diesen Platz so lange eingenommen, dass sie ein fester Teil von mir geworden ist, und ich sehe es schlichtweg nicht mehr ein, irgendwelche Teile von mir abzuschneiden, nur um mich in ein normatives Bild von Geschlechtsidentitäten pressen zu können.

Vielleicht ist das auch wieder nur temporär, irgendein seltsames Mischgeschlecht, das ich gerade erlebe, was sich irgendwann wieder in etwas anderes verwandeln wird. Das ist bei mir natürlich immer eine Option. Vielleicht bin ich auch jetzt noch nichtbinär genug, dass es mich stört, auf einer binären Seite einsortiert zu werden.

So oder so, es geht mir auf den Sack und ich will das alles nicht. Dass ich ein trans Typ bin, dass ich „er“-Pronomen benutze, dass ich mich männlich präsentiere, heißt halt noch lange nicht, dass ich jetzt auf einer ganz anderen Ebene gelandet bin.

Klar verleiht mir männliches Passing in manchen Situationen ein gewisses (sehr zerbrechliches) Privileg – aber ich weiß eben auch äußerst genau, wie ich das einzusetzen habe (und wie nicht). Ich hatte es bis vor einem halben Jahr nämlich nicht. Wenn es mir von jetzt an erhalten bleibt, werde ich mich vielleicht irgendwann weniger scharf daran erinnern, wie es war, mich als Frau durch die Welt zu bewegen, aber da können wir dann in 20 oder 30 Jahren nochmal darüber sprechen.

Bis dahin werde ich mich jedenfalls in irgendein binaristisches Weltbild quetschen lassen. Weder meine Pronomen, noch meine Hormonspritzen, noch mein Haarschnitt haben meine Erfahrungen, die guten wie die schlechten, aus meinem Gedächtnis gelöscht.

Ich betrachte das als eine Rebellion gegen toxische Männlichkeit: Der Wunsch, sich von allem Weiblichen zu distanzieren, kommt nicht von einem guten Fleck. Indem ich meine Weiblichkeit, meine weibliche Vergangenheit, meine weiblichen Erfahrungen als Teil von mir annehme und Raum für sie schaffe, wehre ich mich gegen diesen patriachalen Zwang.

Vielleicht ist das ein guter Abschluss für diesen Post. Lasst trans Männern den Raum, ihre Weiblichkeit weiter auszuleben. Es fühlt sich nicht gut an, gewaltvoll aus Räumen verdrängt zu werden, in denen wir jahrzehntelang zuhause waren. Es fühlt sich nicht gut an, sich für die eine oder andere Seite entscheiden zu müssen, wenn man einfach ein bisschen zu beiden gehört.

Themen: deutsch, trans, persönlich