start | about | kontakt | alle tags | rss

gaenseblum.eu

skye gaenseblums website

Was nichts kostet, ist nichts wert

01. April. 2024

Wie sehr ich diesen Satz hasse. Ich höre bzw. lese ihn ganz besonders oft im Kontext von Selfpublishing, und häufig im allgemeineren Kontext von frei lizensierter und frei zugänglicher Kunst.

Und ganz ehrlich? Can’t relate. Mit meiner Lebensrealität hat so eine Binsenweisheit zumindest gar nichts zu tun.

Ich bin arm. Ich bin chronisch krank und kann nicht arbeiten, entsprechend habe ich auch kein Geld, meistens nicht einmal für das Nötigste. Für mich heißt das: Was etwas kostet, ist mir im Normalfall überhaupt nichts wert, weil ich keinen Zugang dazu habe. Es ist toll, dass Menschen an ihrer künstlerischen Arbeit Geld verdienen. Nein, ehrlich, das kritisiere ich nicht. Ich habe selbst schon Kunstwerke verkauft und bereite mich momentan darauf vor, das wieder zu tun. Irgendwie muss man in diesem scheiß System ja überleben.

Aber das ändert nichts daran: Für arme Menschen ist das Preisschild so etwas Ähnliches wie ein „Betreten verboten“-Schild. Wenn ich etwas Sauteures kaufe (meistens, weil ich keine Alternative habe, oder weil es nunmal etwas ist, das ich wirklich gerne haben würde, wie z.B. ein Videospiel oder ein Sachbuch), hab ich nicht das Gefühl, mir einen besonderen Luxus zu gönnen, sondern ich fühle mich ausgenutzt, schuldig (weil ich dann wieder Freund*innen anbetteln muss, mir Medikamente oder Essen zu kaufen) und von der Gesellschaft im Stich gelassen. Das sind jetzt nicht unbedingt die Emotionen, die ich mit „ist etwas wert“ assoziieren würde, seht ihr das anders? Wenn ich etwas kaufe, was normalteuer ist statt sauteuer, hab ich übrigens dieselben Gefühle, nur ein bisschen weniger davon.

Ich bin jetzt nicht unbedingt die übliche Sorte Mensch, das ist mir klar. So benutze ich auch seit etwa 20 Jahren Linux und andere Freie Betriebssysteme. Das heißt aber auch, dass ich sehr früh gelernt habe, Freie Lizenzen und auch die unbezahlte, freiwillige Arbeit anderer Menschen zu wertschätzen. Wenn mir Kunst als „pay what you want“ angeboten wird, bezahle ich nahezu immer so viel, wie ich kann.

Wenn ich was runterlade, was nichts kostet (also weder Geld noch Privatsphäre…), kann ich endlich mal eine Sache genießen, ohne mich dafür schuldig zu fühlen. In aller Regel schaue ich nach, wie ich mich bei den Menschen bedanken kann, die ihre Arbeit frei zugänglich gemacht haben. Ich schicke ihnen eine kurze Nachricht, ich empfehle ihr Werk weiter. Und ich interagiere mit dem Ding mit dem Gefühl, dass es immer noch Menschen gibt, die an gegenseitige Unterstützung und eine freie Gesellschaft glauben.

Dazu kommt dann noch, dass digitale Kunstwerke, ob das jetzt Bücher sind oder Musik oder sonstwas, in aller Regel nur mit „Kopierschutz“ (DRM) und von ethisch fragwürdigen Händlern verkauft werden. Ich werde in ein System gezwungen, mit dem ich nichts zu tun haben will. Ich muss Cracks benutzen, wenn ich die Waren, die ich gekauft habe, auch behalten will. Dadurch kaufe ich Bücher generell nur noch sehr ungern. („Kaufen“ ist eigentlich eh das falsche Wort, wenn der Anbieter sie jederzeit löschen kann und ich nicht mehr darauf zugreifen kann.) Viele Musik kann man überhaupt nicht legal in digitalem Format kaufen. Klar, die Ozeane sind voller Piraten und so, aber ganz ehrlich, das ist, was für mich „nichts wert“ ist: Ein künstlerisches Werk, mit dem ich entweder gar nicht interagieren kann oder nicht, ohne meine moralischen Grenzen zu überschreiten. Bei dem ich mir aussuchen muss, ob es mir das wert ist, einem unmoralischen, ausbeuterischen System Geld in den Rachen zu werfen, damit am Ende vielleicht ein paar Cents bei den Kunstschaffenden ankommen, oder ob ich das Geld lieber stattdessen anderen Leuten zukommen lasse, die ihre Kunst frei oder zumindest zu fairen Konditionen zugänglich machen.

Ich bestreite nicht, dass in unserer kapitalistischen, auf Geld fokussierten Gesellschaft viele Menschen so denken: Was teuer ist, muss gut sein, was wenig oder gar nichts kostet, muss weniger wert sein.

Aber das sind nicht die sozialen Gefilde, in denen ich mich bewege. Wer dieser klassistischen Glorifizierung von Kapital und Ausbeutung einen Gegenpol setzen will, muss auch mal drüber nachdenken, wer von solchen Verallgemeinerungen eigentlich ausgeschlossen ist.

Ich weise das jedenfalls von mir. Was nichts kostet, ist mir tausendmal mehr wert als irgendein Ebook, was ich nur auf Amazon kaufen kann oder ein Album, was es nur bei Streamingdiensten gibt oder ein Handyspiel, was ich bei Google kaufen müsste. Denn das sind alles Sachen, die ich nicht (mehr) machen werde. Meine moralische Grenze haben diese Unternehmen längst überschritten und ich will mit diesem System so wenig wie möglich zu tun haben. Daher sind die Dinge, die nur auf solchen Wegen zugänglich sind, genau das für mich: Wertlos.

Gleichzeitig ist mein lokales Musikverzeichnis voll mit Musik, für die ich freiwillig bezahlt habe, und ich hab jedes Mal ein wohliges Gefühl, wenn ich sie höre, weil ich weiß, dass das Geld direkt an die Künstler*innen ging und dass diese mir im Austausch etwas vermacht haben, das mich mein Leben lang begleiten wird. Ich habe mehr als ein Buch gelesen, das kostenlos im Internet angeboten wurde, und sie haben mehr mit mir gemacht als viele Bücher, für die ich bezahlen musste. Wenn mir Kunst auf diese Weise zugänglich gemacht wird, kann ich mich auf den Inhalt konzentrieren, kann mich mit ihrem künstlerischen Wert und dem darin verpackten gesellschaftlichen Dialog auseinandersetzen, ohne ständig davon abgelenkt werden, in welchen Kontext ich das „Produkt“ „konsumiere“. Was kein kommerzielles Produkt ist, kann ich als künstlerisches Werk eher ernstnehmen.

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich hab die Schnauze voll von diesem unreflektierten Klassismus.

Themen: kunst, rant